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«Covid-19 ist wie ein Chamäleon»

Manuel Arnold 04. Januar 2021

Stellvertretend für jene Frauen und Männer, die 2020 gegen Covid-19 Ausserordentliches leisteten, steht Beate Tanner (46), Infektiologin am Kantonsspital Sursee. Corona-Verharmlosern möchte sie einen Blick in die Intensivstation ermöglichen.

2009, während ihrer Ausbildung zur Fachärztin für Infektiologie in St Gallen, war die Schweinegrippe aktuell. «Das war ganz anders als heute: viel weniger Patienten, weniger schwere Verläufe, kaum Todesfälle, etwa 20 in der Schweiz», erinnert sich die Stanserin Beate Tanner. Und dieses Jahr ist das Spital voller Covid-Patienten, Arbeit an der Front für die Leiterin Infektiologie im Spital Sursee.

 

 

Der Tod stumpft sie nicht ab

 

Was fasziniert sie an ihrem Fachgebiet? «Viele Infektionskrankheiten sind heilbar», sagt sie. Es gebe Medikamente gegen Viren, Antibiotika gegen bakterielle Infektionen. Wer an Infektionen leidet, habe im Vergleich zu Patienten zum Beispiel der Onkologie häufiger eine Aussicht auf Heilung, obwohl gerade bei Covid-19 der Tod in den letzten Monaten mit den hohen Ansteckungszahlen zum Alltag geworden sei. «Man gewöhnt sich vielleicht an die abstrakten Zahlen über Todesfälle, es ist aber anders, wenn man das Einzelschicksal sieht», sagt Beate Tanner. Sie sieht es tagtäglich, und der Tod stumpft sie nicht ab.

 

Die Frau will etwas bewegen, etwas Sinnvolles tun. Als sie beim begonnenen Englischstudium über «Alice in Wonderland» und «Winnie the Pooh» diskutieren sollte, habe sie gemerkt, dass sie das nicht befriedigt. Also wandte sie sich der Medizin zu, wobei sie nach dem Studium in der mikrobiologischen Forschung tätig war. Von dort lag der Schritt nahe zu ihrem heutigen Spezialgebiet, der Infektiologie.

 

 

Mit der Erfahrung lernen

 

«Covid-19 verhält sich wie ein Chamäleon», sagt sie und spricht die sehr unterschiedlichen Verläufe der Krankheit an. Sie erinnert sich an einen jungen Patienten mit schwerstem Verlauf, derweil eine 93-jährige Frau nach kurzer Zeit wieder aus dem Spital hinausspaziert sei. «Manchmal sind wir überrascht, wie schnell sich der Zustand eines Patienten verschlechtert, doch mit der zunehmenden Erfahrung entwickeln die pflegenden Personen ein Gefühl für einen wahrscheinlichen Verlauf.»

 

«Wer heute einmal durch eine Intensivstation gegangen ist, diskutiert nicht mehr darüber, ob Covid-19 eine schlimme Krankheit ist oder gar darüber, ob es dieses Virus überhaupt gibt», sagt Beate Tanner bestimmt. Und sie bringt das Beispiel eines Covid-kritischen Patienten, der nach sechs Wochen mit sehr schwerem Verlauf im Spital in die Rehabilitation austreten konnte. Doppelt geheilt, von Krankheit und deren Verharmlosung: Er habe sich dankbar gezeigt und wisse nun, was Covid bedeuten könne.

 

 

Wichtige interkantonale Zusammenarbeit

 

Der kritische Punkt, so Beate Tanner, seien die personellen Ressourcen. Zunehmend stehe man am Limit. Die Zusammenarbeit mit anderen Zentralschweizer Spitälern biete Möglichkeiten, Patienten abzugeben oder zu übernehmen. Oft gab es lokale Schwerpunkte von Covid-19-Infektionen, einzelne Familien, Vereine, bei denen das lokale Krankenhaus überfordert war. Mittlerweile sind alle Intensivstationen der Zentralschweiz voll belegt und man hat Mühe, die Patienten zu platzieren.

 

Auch in Sursee selber gehe es um die hohe Belastung der Intensivstation, «den Angelpunkt», wie sie sagt. Aber auch um die hohe Bettenbelegung insgesamt im Spital und den sehr hohen pflegerischen Aufwand für die Covid-Patienten, so dass Wahleingriffe reduziert werden müssen und vorwiegend Notfall- und Tumoroperationen stattfinden, um Betten und Personal für die Pandemiepatienten zur Verfügung zu haben.

 

 

Personell am Limit

 

Die Arbeit, medizinisch, aber auch organisatorisch-logistisch, fordert heraus. Die Zusammenarbeit mit dem Pandemiestab und der Infektiologie des Luks Luzern gehört ebenso zum Aufgabenbereich der Infektiologin wie die Patientenbetreuung und Beratung von Kollegen intern oder von Hausärzten. In Sursee gibt es eine reine Covid-19-Abteilung, die voll belegt ist. Statt einer zweiten hat man in den anderen Abteilungen zusätzliche Covid-Zonen eingerichtet. «Damit wird die Last auch besser unter dem Pflegepersonal verteilt», sagt Beate Tanner.

 

Das Personal sei knapp, man sei oft am Limit besetzt. «Zunehmend machen uns auch Erkrankungen beim Personal zu schaffen», sagt sie. Sorgen mache weniger die Zahl der Beatmungsplätze als vielmehr die Zahl der Personen, die sie betreiben können. Noch aber sei man glücklicherweise nicht so weit, dass wegen Ressourcenknappheit ethisch entschieden werden müsse, wen man intensivmedizinisch versorgt und wer dies nicht mehr in Anspruch nehmen kann.

 

 

Kontakte deutlich einschränken

 

«Man wächst durch die Belastung zusammen», sagt Beate Tanner. Es gehe nur mit gegenseitiger Unterstützung zwischen Ärzten und Pflegenden. Es sei enorm, was die einzelnen Leute leisteten. «Es ist wie auf einer langen Bergtour, immer wenn ein Turm erklettert ist, kommt der nächste und es geht nur, wenn man in der Seilschaft zusammenhält und einander stützt und sichert.» Denn allein die zeitliche Belastung sei hoch, Überstunden, die zeitnah nicht kompensiert werden könnten.

 

Auch die Leiterin selber hat happige Dienste, die sie, noch mehr als zur Zeit vor der Pandemie, an die Grenzen der Belastbarkeit kommen lassen. Sie wünschte sich jetzt eine entschiedenere Haltung der Politik mit nun rascher Umsetzung der Massnahmen und appelliert an die Bevölkerung, die Kontakte deutlich einzuschränken.

 

Sie lobt in diesem Zusammenhang anderseits die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Spital Sursee zwischen Anästhesie/Intensivmedizin, Infektiologie und Kardiologie und am Luks insgesamt. Covid-19 kann auch die Herzfunktion beeinträchtigen, jedes Organ – nicht nur die Lunge – kann betroffen sein. «Das Schöne am Spital Sursee ist, dass sich alle kennen und die Wege kurz sind, das hilft enorm in der gemeinsamen und optimalen Patientenbetreuung.»

 

 

«Macht eine Patientenverfügung!»

 

«Ein Tod geht immer nahe», sagt die Ärztin. Er kann sie auch im Schlaf verfolgen wie jener einer jungen Frau, die sie vor vier Jahren nicht retten konnte: «Das bleibt immer.» Bei älteren Menschen tröstet sie der Umstand, dass ein ausgefülltes Leben ihr Ende gefunden hat. Schwierig wird es, wenn sie und ihr Team, im besten Fall nach vorherigem Gespräch mit der kranken Person, den Entscheid fällen müssen, dass eine Weiterführung der Therapie keinen Sinn mehr macht und man sich für das Abstellen einer Lungen-Maschine entscheiden muss.

 

Ihr Appell, auch an jüngere Menschen: «Macht eine Patientenverfügung! Schreibt auf: Was möchte ich für mich?» Das bedinge die Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit, entlaste andererseits auch die Angehörigen und Ärzte.

 

Aufsteller gibt es aber auch im Berufsleben von Beate Tanner, die seit sechs Jahren in Sursee als Leitende Ärztin Innere Medizin und Infektiologin arbeitet. Vor einem Jahr sei zum Beispiel eine junge Frau mit Grippe (Influenza) eingeliefert worden, bei der das Virus das Herz schwer betroffen hat. «Das Herz hat nur noch 20 Prozent gepumpt», erinnert sich die Ärztin. Die Frau wurde mit dem Helikopter nach Zürich geflogen und an die Herz-Lungen-Maschine angeschlossen. «Die Patientin hat überlebt, das Herz hat sich erholt, und sie hat sich bei uns gesund wieder gezeigt.» Das mache Freude. Und sie ermuntert Risikopersonen, sich gegen Grippe impfen zu lassen.

 

 

Zum Ausgleich in die Berge

 

Von wegen Impfung: Sie hofft auf die Covid-19-Impfung. «Ein sehr erfreulicher Beitrag der Wissenschaft; es wird wissenschaftlich viel geschrieben, was teils auch bald wieder revidiert werden muss, aber die Entwicklung der Impfung beeindruckt mich », sagt sie und hofft damit auf eine Normalisierung, was das Sozialleben betrifft.

 

Und wie verbringt Beate Tanner mit ihrer Familie, Ehemann, die Zwillinge Nicolas und Gian-Luís (7), Damián (12), Silvester und Neujahr? Gehen sie in die Berge, der wichtige Ausgleich zur Arbeit im Spital für die Ärztin, etwa auf eine Skitour? Sie winkt ab, nicht weil sie Skitouren für virologisch risikoreich hielte, im Gegenteil: «An diesen Tagen habe ich Dienst im Spital.»

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