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«Dieses Jahr der Solidarität passt zu mir»

Geri Wyss 03. Januar 2021

«Die Schweiz macht so vieles möglich», sagte Ylfete Fanaj nach ihrer Wahl zur Kantonsratspräsidentin im Juni. Die SP-Frau ist ein lebendes Beispiel dafür, legte sie doch eine rasante Karriere in der Politik hin. Die Stadt Sursee spielte dabei eine entscheidende Rolle.

Es war einmal ein neunjähriges Mädchen, das aus einem fremden Land nach Sursee kam und kein Wort deutsch konnte. Im Schulhaus St. Martin, mit Nachbar Klaus Lütt und in der Pfadi lernte es jedoch schnell die Sprache. Ab der 4. Klasse konnte es dem Unterricht problemlos folgen. Bei der Stellensuche hatte das Mädchen wegen seines Nachnamens grosse Mühe. Nach der 201. Bewerbung klappte es. Das Mädchen wurde zu einer Frau, die wegen ihres Gerechtigkeitssinnes und des Ziels einer solidarischen Gesellschaft in die Politik ging und dort umso schneller durchstartete. Nun ist sie mit 38 Jahren höchste Luzernerin.


Ein Vorname wie im Märchen
Das ist die Kurzversion des bisherigen Lebens von Ylfete Fanaj, die einen Vornamen hat, der einer Prinzessin in einem Märchen gehören könnte. Ihre Geschichte schrieb weder Jacob noch Wilhelm Grimm, sondern sie selber.


Neben dem Martigny-Platz wuchs Ylfete Fanaj mit vier Geschwistern auf, nachdem ihr Vater seine Familie aus dem krisengeplagten Kosovo in eine Wohnung an der Chrüzlistrasse über dem damaligen «Café Spatz» holte. Symbolisch ist das Jahr ihrer Ankunft 1991. Das Land feierte 700 Jahre Eidgenossenschaft. Der eben verstorbene Bundesrat Flavio Cotti strich auf dem Rütli Dankbarkeit und Zuversicht hervor. Niemand hätte damals geahnt, dass die neunjährige Tochter 29 Jahre später die höchste Luzernerin ist und Geschichte schreibt.


Gehört in die «Kategorie Berset»
Und nicht nur das. Sie gehört zur «Kategorie Berset», was die Geschwindigkeit ihrer politischen Karriere betrifft. Der Freiburger präsidierte mit 36 Jahren den Ständerat und wurde mit 40 Jahren Bundesrat. Ylfete Fanaj schaffte mit 25 Jahren die Wahl in den Grossen Stadtrat in Luzern, wechselte im April 2011 in den Kantonsrat, leitete ab 2015 vier Jahre lang die SP-Fraktion und präsidiert diesen Rat nun.


«Die Schweiz macht so vieles möglich», sagte sie in ihrer Dankesrede nach der Wahl im Juni. Schon damals tagte der Kantonsrat ausser Haus, und Corona diktierte die Politik. Statt wie andere höchste Luzernerinnen den Kanton zu repräsentieren, reduzierte das Virus die Tätigkeit von Ylfete Fanaj mehr oder weniger auf die Ratsführung. Sie jammert deswegen nicht.


50 Jahre Frauenstimmrecht
«Dieses Jahr der Solidarität und des Jubiläums 50 Jahre Frauenstimmrecht passt zu mir», sagt sie. Auch sie leide zwar unter den fehlenden sozialen Kontakten und beispielsweise einem verhältnismässig einsamen Silvester, der zu normalen Zeiten in der Grossfamilie begangen worden wäre. «Aber in diesem Jahr leisten so viele Ausserordentliches. Ich bin zwar die höchste Luzernerin, aber nicht die wichtigste Person», erzählt sie mit Demut.
«Luzern verbindet» heisst ihr Motto, das Ylfete Fanaj gemeinsam mit Regierungspräsident Reto Wyss wählte. Ein Element davon sind Geschichten von Menschen, etwa eines Flüchtlings, die sie vor den Sessionen den 120 Kantonsrätinnen und fünf Regierungsräten erzählen. «Weil ich weniger zu den Leuten gehen kann, wollte ich Leute zu uns einladen», erklärt sie. Die Reaktionen darauf seien sehr positiv.


Eine stolze «Soorserin»
Als erste Kantonsratspräsidentin mit einem Migrationshintergrund und seit über 120 Jahren jüngste Präsidentin reiht Ylfete Fanaj Premieren an Premieren. Ab Januar kommt die nächste hinzu. Erstmals in seiner über 200-jährigen Geschichte trifft sich das kantonale Parlament in Sursee. Jetzt könnte man annehmen, dass die Heimweh-Surseerin, die von sich sagt: «Ich bin stolze ‘Soorserin’ und habe das Stadtbürgerrecht», dahinter steckt.


Sie winkt aber ab. «Die Staatskanzlei führte ein Submissionsverfahren durch. Ich war nicht involviert, obwohl die Staatskanzlei natürlich wusste, dass ich aus Sursee stamme.» Wenn die Sessionen nicht im Kantonsratssaal möglich sind, dann in Sursee, das befürwortet sie sehr. Es sei auch eine Chance, dass sich der Kantonsrat bewege und in anderen Orten tage. «Regionalpolitisch ist das ein wichtiges Zeichen», ist die Kantonsratspräsidentin überzeugt.


«Alle fünf Minuten»
Die engagierte Sozialpolitikerin, die besonders gut zuhören, Leute treffen und «käfele» kann, muss derzeit neutral sein. «Ich habe es mir schwieriger vorgestellt, als es ist», meint Ylfete Fanaj dazu. An den beiden Abstimmungssonntagen im Herbst rief sie «alle fünf Minuten» die Resultate ab. «Auch schaue ich immer ganz genau, wie Sursee abstimmt. Meist ist das sehr erfreulich», lächelt sie.


Drei Weggefährtinnen beschreiben Ylfete Fanaj. «Sie hat einen grossen Sinn für Gerechtigkeit. Es ist Ylfete Fanaj wichtig, dass alle Menschen gehört werden», sagt SP-Fraktionskollegin Sara Muff aus Sursee. Für ihre Anliegen setze sie sich leidenschaftlich und hartnäckig ein. «Ihr Durchhaltevermögen beeindruckt mich.» Die Surseer Standesweibelin Anita Imfeld erlebt Ylfete Fanaj immer schon und insbesondere jetzt in ihrem Amt als stets perfekt vorbereitet, sehr einsatzfreudig und äusserst engagiert zum Wohle des Kantons.


Eine würdige Vertreterin
Und Angela Lüthold, Präsidentin der SVP Kanton Luzern aus Nottwil und Kantonsrätin, meint: «In ihrer Rolle als Kantonsratspräsidentin begegnet sie uns mit Respekt, ist loyal und hat ein Ohr für die Ungehörten.» Sie sei eine würdige Vertreterin des Kantons und verleugne ihre Wurzeln nicht.


Die Zeit von 1991 bis 2007 hinterliess Spuren. «Ich war in Sursee das erste Mal verliebt», begründet Ylfete Fanaj die Verbundenheit. Wenn sie vom Bahnhof Richtung Städtli laufe, sei es jedes Mal wie ein Zurückkommen – Heimatgefühle tauchen auf. Weggezogen ist sie, weil sich ihr Lebensmittelpunkt in die Stadt Luzern verschoben hat. Dort fand sie eine KV-Lehrstelle bei ECAP, einem gemeinnützigen und nicht gewinnorientierten Erwachsenenbildungsinstitut.


Die Antwort auf ihre Biografie
Sie schloss danach die Berufsmatura ab und hängte den Bachelor an der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit – an. «Heirat unter Zwang? Beratung von potenziell Betroffenen einer Zwangsheirat» hiess ihre Bachalorarbeit. Jahre später setzte sie den Master oben drauf.


In der Masterarbeit «Mineurs non accompagnées (MNA) im Übergang zur selbständigen Lebensführung» spurte Ylfete Fanaj ihre derzeitige 50-Prozent-Stelle bei LIFT vor. Das ist ein Integrations- und Präventionsprogramm an der Nahtstelle zwischen der Volksschule und der Berufsbildung. Sie leitet den Bereich Deutschschweiz. Diese Tätigkeit kann verstanden werden als Antwort auf ihre eigene Biografie.


Zurück nach Sursee. Auf dem Martigny-Platz setzt sich Ylfete Fanaj im roten Mantel mit dem Luzerner Wappen auf eine Bank und geniesst die winterliche Atmosphäre. «Immer wenn es schneit, ist das für mich ein ganz besonderes Ereignis», sagt sie. In dieser Märchenstimmung schimmert das Mädchen von einst durch.

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