Mit dem Einzug der wissenschaftlichen Vogelberingung zur Erforschung des Vogelzugs zu Beginn des 20. Jahrhunderts kommt auch in der Schweiz das Bedürfnis nach einer zentralen Meldestelle für Ringfunde auf. So gründet die Schweizerische Gesellschaft für Vogelkunde und Vogelschutz am 6. April 1924 die Vogelwarte. Deren engagiertes Mitglied Alfred Schifferli senior stellt der jungen Institution bei sich zuhause in Sempach ein Zimmer zur Verfügung und wird ihr erster Leiter. Neben der Beringung gehören der Aufbau einer ornithologischen Sammlung und Bibliothek und die Pflege bedürftiger Wildvögel zu den ersten Aufgaben, die er am Feierabend und mit Unterstützung seiner Familie leistet. Nachdem er 1934 55-jährig überraschend stirbt, führt sein damals erst 22-jähriger Sohn Alfred junior die Arbeit weiter und baut sie in der Folge zielstrebig aus.
Alfred Schifferli jun. ist findungsreich und wendet sich an die Bevölkerung, indem er sie mit jährlichen Berichten und mit dem Vogelkalender an der Arbeit der Vogelwarte teilhaben lässt. Mit diesen bestechenden Ideen legt er den Grundstein einer Entwicklung, die bis heute anhält. Noch heute ist die Vogelwarte gefragte Auskunftsstelle für die Bevölkerung, Medien und Behörden. Mit der wachsenden finanziellen Unterstützung durch Vogelfans aus dem ganzen Land kann sich die Vogelwarte weiteren Aufgaben zuwenden. Bald werden die ab 1946 von der Korporation Sempach im Rathaus zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten zu eng, so dass 1954/55 ein zweckdienliches Gebäude am Seeufer gebaut wird. Ebenfalls 1954 wird die Vogelwarte in eine Stiftung überführt und erlangt damit ihre Selbstständigkeit. Mehr als ein halbes Jahrhundert später kann die Vogelwarte dann 2009 ihr neues Bürogebäude und 2015 das Besuchszentrum eröffnen, die den gewachsenen Aufgaben und Erfordernissen entsprechen.
Die Erforschung des Vogelzugs im Alpenraum erhält ab Ende der 1950er-Jahre mit der Beringungsstation Col de Bretolet in den Walliser Alpen neuen Schub, und mit Radargeräten lässt sich nun auch der nächtliche Vogelzug erfassen. Daran knüpfen später grosse Radarstudien in Israel, Spanien und schliesslich in Mauretanien an, in denen die Vogelwarte enthüllt, wie die Zugvögel das Mittelmeer und die Sahara überqueren. Die Vogelwarte wendet sich nun auch stärker der Überwachung der einheimischen Vogelwelt zu. Dabei wird sie von freiwilligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus dem ganzen Land unterstützt, die ihre Beobachtungen nach Sempach melden. Diese Daten werden in zwei für die damalige Zeit einzigartigen Standardwerken präsentiert: «Die Brutvögel der Schweiz» von 1962 und der «Verbreitungsatlas der Brutvögel der Schweiz» von 1980. Sie ermöglichen die erste Rote Liste der gefährdeten Vogelarten, die erstmals Bilanz zieht über den Zustand einer ganzen Tiergruppe. Die nachfolgenden Brutvogelatlanten von 1998 und 2018 liefern immer fundiertere Einsichten in die Bestandsentwicklung unserer Brutvögel und zeigen, wo Handlungsbedarf im Vogelschutz besteht.
Ab Mitte der 1970er-Jahre beschäftigt sich die Vogelwarte auch stärker mit den Lebensbedingungen bedrohter Vogelarten. Im Vordergrund stehen Arten im Kulturland, die von der intensiven Landwirtschaft immer mehr verdrängt werden, also etwa Rebhuhn, Kiebitz, Baumpieper, Feldlerche und Braunkehlchen. Die Vogelwarte stellt jetzt auch Grundlagen für Naturschutzbehörden bereit. Basierend auf den Ergebnissen der nationalen Wasservogelzählungen inventarisiert sie schweizweit die wichtigsten Überwinterungsgebiete für Wasservögel. Der Bund richtet daraufhin erste Wasservogelreservate ein. Und mit der Inventarisierung der naturnahen Lebensräume des Kantons Luzern schafft die Vogelwarte eine praxisnahe Grundlage für den Naturschutz auf Gemeindeebene.
2003 schliesslich bündeln die Vogelwarte, BirdLife Schweiz und das Bundesamt für Umwelt (Bafu) ihre Kräfte zur Rettung der bedrohten Vogelwelt und lancieren das Programm «Artenförderung Vögel Schweiz». Auerhuhn, Weissstorch, Steinkauz, Wiedehopf und Mittelspecht und weitere Arten profitieren davon. Neben dem Artenschutz spielt auch der Schutz der Lebensräume eine wichtige Rolle.
Schon ab 1991 wertet die Vogelwarte zusammen mit lokalen Landwirten und den Behörden in verschiedenen Regionen das Kulturland auf, so in der Champagne genevoise oder im Schaffhauser Klettgau. Diese Erfahrungen bereiten den Boden für die Zusammenarbeit mit der bäuerlichen Vereinigung IP Suisse. Sie bewirkt, dass viele ökologischen Ausgleichsflächen angelegt werden. Die Vogelwarte und das Forschungsinstitut für biologischen Landbau fassen ihre positiven Erfahrungen in einem Praxishandbuch zusammen, das einen neuen Impuls für mehr Natur aus Bauernhand bringen soll. Im Vorfeld ihres 100-jährigen Bestehens schliesslich startet die Vogelwarte ein grosses Rahmenprogramm «Aufschwung für die Vogelwelt» und lädt Partner ein, mit ihr zusammen weiteren Lebensraum für die bedrohte Vogelwelt zu gestalten.
Die Vogelwarte konnte sich somit in ihren ersten hundert Jahren vom ehrenamtlich geführten Einmannbetrieb zur prosperierenden Stiftung für Vogelkunde und Vogelschutz entwickeln. In der Forschung und im Monitoring von Vogelpopulationen ist sie heute international anerkannt. Künftig werden Erfolge auch aus den ökologischen Langzeitstudien und aus Afrika kommen, wo sich die Zugvögel im Winterhalbjahr aufhalten.
100-Jahr-Jubiläum Am Samstag, 6. April, feiert die Schweizerische Vogelwarte Sempach mit rund 300 geladenen Gästen in der Festhalle Seepark ihr 100-jähriges Bestehen. Im Besuchszentrum wartet an diesem Tag – nur in Kombination mit einem Museumseintritt – aber ein Spezialprogramm auf die Vogelinteressierten. Von 10 bis 17 Uhr wird eine Rangerin vor Ort faszinierende Infos zur Vogelwelt abgeben. Um
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