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«Es gibt viele Berührungspunkte»

Geri Wyss 10. Mai 2021

Die Kirchenaustrittswelle macht auch vor dem Pastoralraum Oberer Sempachersee nicht halt. 2020 verliessen insgesamt 195 Personen die sechs Pfarreien. Mit einer Kampagne im Netz versucht die Kirche Gegensteuer zu geben.

85 Kirchgemeinden zählt der Kanton Luzern, und sie alle sind vom gleichen Phänomen betroffen. Viele Menschen kehren der Kirche den Rücken zu. Im letzten Jahr verzeichnete die römisch-katholische Landeskirche des Kantons Luzern 3758 Austritte. Sie alle hatten auf schriftlichem Weg erklärt, nicht mehr Teil der Kirche zu sein. Der Pastoralraum oberer Sempachersee war im gleichen Zeitraum von 195 Kirchenaustritten betroffen.

 

Geld bleibt in der Region

Den Austritt bestätigt die Kirchgemeinde oder die Pfarrei daraufhin in der Regel ebenfalls schriftlich. «Sie bedankt sich darin für die bisherige Unterstützung und macht auch darauf aufmerksam, was die Solidarität, die durch die Kirchenmitgliedschaft ausgedrückt wird, alles möglich macht», sagt Synodalrätin Sandra Huber. Sie ist auch Projektleiterin von «Kirchensteuern-sei-Dank». Mit der gleichnamigen Website führt die Kirche transparent auf, was die Kirchensteuern alles vor Ort bewirken.

Darauf erfährt man, dass die Kirchensteuern zu 100 Prozent für das Gemeinwohl in den Gemeinden und im Kanton Luzern eingesetzt werden. 41 Prozent fliessen zugunsten von sozialem Engagement und der Seelsorge, 10 Prozent fördern das Pfarreileben und die Kultur, 12 Prozent finanzieren die kirchliche Bildung, mit 25 Prozent der Steuern werden die sakralen Bauten und Kulturgüter erhalten und 12 Prozent schliesslich werden für die Verwaltung verwendet. Auf einer Karte, die den Kanton abbildet, lassen sich all die Angebote entdecken.

 

Verbundenheit fördern

Die Plattform zeige auf, wo überall Kirche drinstecke, auch jenen Menschen, die sich vielleicht weniger mit der Institution identifizieren könnten. «Die Kirche spielt eine wichtige Rolle in der Gesellschaft», unterstreicht Huber. Konsultiere man die Website, werde einem plötzlich bewusst, in welchen Bereichen man überall mit der Kirche verbunden sei, ergänzt Sandra Huber. «Man merkt, dass man viel mehr Berührungspunkte hat als gedacht. Kirche ist weit mehr als der Sonntagsgottesdienst.»

 

Geld sparen kann Motiv sein

Die Synodalrätin ist überzeugt, dass das Geld eine bedeutende Rolle beim Entscheid spielt, die Kirche zu verlassen. Die Anzahl der Austritte steige im Frühling an, wenn es gelte, die Steuererklärung auszufüllen, und dann wieder auf Ende Jahr hin, wenn die Steuern bezahlt werden müssten. «Das bestärkt unsere Annahme, dass Kirchenaustritte auch wegen Steuereinsparungen erfolgen.» Dafür spreche im Weiteren, dass Kantone wie Genf, Waadt oder Neuenburg, die keine Kirchensteuern erhöben, praktisch keine Austritte zu verzeichnen hätten, führt Sandra Huber aus. «Auch in St. Urban, wo keine Kirchensteuern zu entrichten sind, gibt es kaum Austritte.»

 

Reformstau bleibt

Und der Reformstau der katholischen Kirche? Dieser fördere die Kirchenaustritte sicherlich auch, räumt San-dra Huber ein. «Es ist an der Zeit, alte Muster und Strukturen aufzubrechen.» Bei den «grossen Themen» der Weltkirche seien den Luzerner Kirchgemeinden aber oft die Hände gebunden, macht sie deutlich. «Vor Ort können wir aber eine Kirche leben, die den Menschen offen begegnet, ihnen zuhört und sie stärkt.»

Sie fügt an, dass es keine Pflicht gebe, die Gründe für einen Kirchenaustritt anzugeben. «Wir fragen auch nicht nach, respektieren diesen persönlichen Entscheid und können meistens nur vermuten, weshalb jemand die Kirche verlassen will.» 

 

Pfarreileiter spricht von Krise

Erich Hausheer ist Leiter der Pfarreien Hildisrieden und Rain. Für ihn liegt der Hauptgrund für die Kirchenaustritte in der Krisensituation, in der sich die katholische Kirche insgesamt befindet. Diese sei vergleichbar mit anderen wichtigen gesellschaftlichen Institutionen wie etwa den Printmedien, die auch von Abwanderung betroffen seien. Geld zu sparen, wenn man keine Kirchensteuern mehr bezahlen müsse, spiele sicherlich auch eine Rolle, fügt er an.

 

«Das Gespräch suchen»

Über die Gründe, warum jemand die Kirche verlasse, könne man aber vielfach nur spekulieren. «In den Austrittsschreiben steht meistens nichts über Gründe, und es wird explizit gewünscht, nicht mehr kontaktiert zu werden. Ich würde es sehr begrüssen, wenn sich die Menschen direkt mit uns in Verbindung setzen würden. So könnten wir ins Gespräch kommen und voneinander lernen», ist Erich Hausheer überzeugt. 

Die Kirche habe auch einen ramponierten Ruf wegen wiederholter negativer Schlagzeilen. Doch diese und die Kirche vor Ort lägen weit auseinander. «Es stimmt mich nachdenklich, dass es uns zu wenig gelingt, den Menschen die grossartige Botschaft unseres Glaubens und das vielseitige Engagement in sozialer, kultureller und diakonischer Hinsicht noch besser zu vermitteln.»

 

«Ich kann mit Religiosität nichts anfangen»

Aus welchen Gründen verlassen Menschen die Kirche? Wir fragten eine Frau und einen Mann aus der Region, warum sie diesen Schritt vollzogen haben.

 

Andrea B. ist 38-jährig und Mutter zweier Kinder. Vor drei Jahren hat sie zusammen mit ihrem Mann den Entschluss gefasst, aus der katholischen Kirche auszutreten. «Die Kirche hat in unserem Alltag keine Bedeutung und spielt auch in der Erziehung der Kinder keine Rolle», erzählt sie. Auch habe sie mit dem Verständnis der Kirche für Sünde und göttliche Vergebung Mühe. «Ich glaube, dass Seelen im Leben eines Menschen eine bestimmte Aufgabe und einen Lernprozess zu erfüllen haben.» Sie sei durchaus eine spirituelle Frau, könne aber mit Religiosität nichts anfangen. 

Auch Formen und Inhalte von kirchlichen Feiern sagten ihr nicht zu, erzählt sie weiter und führt das Beispiel der Tauferneuerungsfeier ihres Sohnes an. «Die Sprache des Priesters war überhaupt nicht altersgerecht. Bald schon wurden die Kinder unruhig. Sie waren nicht in das Geschehen eingebunden.» Sie könne sich einfach nicht mit der Kirche identifizieren, schliesst sie.

 

Evolution statt Schöpfung

Der 23-jährige Sempacher Nicolas Wirth vollzog den Austritt aus der römisch-katholischen Kirche vor fünf Jahren, nachdem er auch die Jungwacht verlassen hatte. Die Kirche als Institution an sich sei nicht der Hauptgrund gewesen, erzählt er. Vielmehr habe er es nicht mit sich vereinbaren können, ein Teil der weltweiten Religionsgemeinschaften zu sein. «Religionen machen viel Gutes, sie sind aber auch für viel Übel auf der Welt mitverantwortlich», sagt Nicolas Wirth. So habe er etwa auf einer Reise in Myanmar extremistische Buddhisten gesehen, die andere Menschen unterdrückt hätten und sogar für religiös motivierte Morde verantwortlich gewesen seien. «Das ist nicht meine Welt.» Auch sei er im Verlaufe seines Lebens gläubigen Menschen begegnet, welche ein antiquiertes Bild der Schöpfung vertreten und nahegelegt hätten, man müsse daran glauben. «Für mich zählen aber die wissenschaftlichen Fakten und diese belegen nun mal, dass die Menschen wie die restlichen Lebewesen auf dieser Welt ein Produkt der Evolution sind.»

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