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Futter für Diskussionen: die Agrar-Initiativen

Red 23. Mai 2021

Christian Troxler fürchtet bei Annahme der beiden Agrar-Initiativen um die Existenz seines Betriebs in Schlierbach. Grüne-Kantonsrat Samuel Zbinden pocht auf sauberere Gewässer und Böden.

Samuel Zbinden, warum stimmen Sie am 13. Juni zweimal Ja zu den Agrar-Initiativen?

Mir sind gesunde Böden, sauberes Trinkwasser, gesunde Lebensmittel und auch gesunde Menschen extrem wichtig. Das alles schaffen wir mit einem zweifachen Ja. Wir können ganz viele Probleme auf einmal angehen und bekämpfen.

 

Das tönt doch sehr gut, Christian Troxler.

Die Landwirtschaft hat sich in den vergangenen Jahren stark in eine nachhaltige Richtung entwickelt, und wir werden dies auch weiterhin tun. Eine Annahme der beiden Initiativen hätte nicht nur für uns Landwirte, sondern auch für viele vor- und nachgelagerte Gewerbebetriebe und vor allem für die Konsumenten sehr negative Folgen. Die Initiativen haben eine negative Ökobilanz und schaden in ihrer Wirkung der Umwelt. Deshalb ein zweifaches Nein.

 

Die Landwirtschaft verbesserte sich massiv, oder?

Zbinden: Absolut, die Fortschritte in der Landwirtschaft gilt es wertzuschätzen. Wir hätten ein Problem, wenn ab morgen alle synthetischen Pestizide verboten wären. Genau deshalb gibt es eine zehnjährige Übergangsfrist. Im Gegensatz zu den Gegnern wollen wir das Ziel irgendwann auch erreichen.

 

Ist die Geschwindigkeit in erster Linie Ihr Problem?

Troxler: Nein, es ist nicht nur die Geschwindigkeit, sondern auch die Radikalität. Die Initiativen verbieten die meisten Pestizide, wovon auch der Biolandbau stark betroffen ist.

Zbinden: Das stimmt nicht, es geht nur um synthetische Pestizide.

Troxler: Doch diese Mittel werden auch ausserhalb der Landwirtschaft eingesetzt. So wäre zum Beispiel auch die gesamte Lebensmittelverarbeitung massiv betroffen. Ein entscheidender und extremer Punkt ist auch das Futter. Die Trinkwasser-Initiative verbietet einen Austausch des Futters unter den Betrieben.

 

Würden sich die Initianten, wenn es um die Gesetzesvorlage geht, in diesem Punkt bewegen?

Zbinden: Die Schweizer Tradition zeigt, dass der Initiativtext nicht immer starr umgesetzt wird, sondern im Sinne aller Akteure. Ich bin überzeugt, dass es kein Verbot gäbe von Pflanzenschutzmitteln, die im Biolandbau eingesetzt werden.

 

Bei der Masseneinwanderungs-Initiative sprachen die Befürworter danach auch von Verwässern.

Zbinden: Bei der Masseneinwanderungs-Initiative setzte man grundsätzlich den Kern nicht um. Aber hier bieten die Initiativen Hand für Kompro-misse: Sei es bei den Pestiziden wie bei den Futtermitteln. Das ist keine Verwässerung, sondern ein Kompromiss.

Troxler: Der Initiativtext ist klar und deutlich geschrieben. Wenn die Initianten den Stimmbürgern jetzt kurz vor der Abstimmung noch Änderungsversprechen machen, so ist dies eine Verwässerung und auch nicht ehrlich. Deshalb gehen wir besser den eingeschlagenen Weg.

 

Und der wäre?

Troxler: In den letzten 20 Jahren verdoppelten wir die extensiven Wiesen von 40’000 auf 80’000 ha. Den Antibiotika-Einsatz reduzierten wir um 50 Prozent in zehn Jahren. Und bis 2027 senken wir die Risiken für den Pflanzenschutzmittel-Eintrag um 50 Prozent. Das ist der richtige Weg und nicht die radikalen Initiativen, die Foodwaste produzieren, Importe fördern und Arbeitsplätze vernichten.

 

Welche Konsequenzen hätte ein doppeltes Ja auf Ihren Betrieb?

Troxler: Die Existenz unseres Betriebes wäre gefährdet. Wir müssten uns entscheiden, welche Betriebszweige wir erhalten möchten und können. Die Schweinezucht wäre akut gefährdet, was sehr schmerzen würde. Hier sehen Sie die 70 Hochstammbäume und eine Blumenwiese (zeigt Fotos). Dies sind zwei wichtige Elemente für unsere Biodiversität. Diese Elemente sind aber futterbaulich wenig wert und könnten nach Annahme der Initiativen auch aufgegeben und die Fläche intensiviert werden. Dies wollen wir doch nicht wirklich.

 

Wie soll die Landwirtschaft nach Annahme der Initiativen noch Geld verdienen?

Zbinden: So, wie das bisher die Biobäuerinnen und Biobauern machen. Während der zehnjährigen Übergangsfrist müssen wir gemeinsam Lösungen finden. Zum Beispiel könnten wir Coop und Migros endlich dazu bringen, die hohen Margen bei Bioprodukten zu reduzieren. Wenn sich das ändert, könnten sich viel mehr Bio leisten, denn das Bedürfnis für Bio ist da, aber der Preis ist zu hoch. Die Landwirtschaft kann durchaus Erträge erzielen.

Troxler: Die meisten Bio-Legehennen ernähren sich mit Futter, das nicht vom eigenen Betrieb stammt.

Zbinden: Wir wollen nur noch so viele Tiere, wie wir mit eigenem Futter ernähren können, und wir wollen keine synthetischen Pestizide mehr. Niemand sagt, die Bäuerinnen und Bauern dürfen nachher kein Futter mehr austauschen.

Troxler: Aber das steht in der Initiative.

Zbinden: Nein, das droht der Bauernverband. Der Austausch von Futtermitteln wird weiterhin möglich sein. Dafür setzen Sie sich ja bestimmt auch ein.

Troxler: Ja, klar. Aber warum brauchen wir diese Initiativen dann?

Zbinden: Weil wir ein riesiges Problem haben.

Troxler: Wo?

Zbinden: Auf ganz vielen Ebenen. Ich muss etwa in Kauf nehmen, dass der Sempachersee voll mit Gülle ist und dass die Böden mit Pestiziden verschmutzt sind.

Troxler: Das ist jetzt aber unglaublich und unanständig zu gleich. Eine einjährige Untersuchung des Chemikalieneintrags im Rhein zeigt: 1 Prozent sind Pflanzenschutzmittel. Den grossen Brocken tragen die Industrie, Haushalte und Medikamente von uns Menschen bei. Zu beachten ist auch: In den vergangenen 30 Jahren ist die Bevölkerung um 2 Millionen Leute gewachsen, auch dadurch sind zusätzliche Emissionen entstanden.

 

Nochmals frage ich: Wollen Sie beide eine gesündere Landwirtschaft?

Troxler: Wir haben eine gesunde Landwirtschaft. Wir halten sehr strenge Richtlinien und Gesetze ein. Zudem müssen wir 7 Prozent Biodiversitätsfläche ausweisen, haben aber rund 15 Prozent.

 

Also kein Problem?

Troxler: Ich wüsste nicht wo, auf meinem Betrieb sicher nicht. Wir haben in der Schweiz eine sehr ausgeglichene, gesunde Landwirtschaft.

Zbinden: Ich kenne Ihren Betrieb nicht. Es kann sein, dass Sie alles richtig machen. Aber wenn wir die Zahlen anschauen, haben wir in ganz vielen verschiedenen Bereichen Probleme, die aber nicht nur von der Landwirtschaft stammen.

Troxler: Wollen Sie diese Probleme alle ausschaffen und dafür im Inland fast kein Gemüse mehr produzieren? Ohne Pestizide können wir gegenüber der heutigen Menge 30 Prozent weniger produzieren. Den Rest müssten wir von Treibhäusern aus Spanien hierher karren. Das ist nicht ökologischer.

Zbinden: Es ist schon heute möglich, ohne synthetische Pestizide ertragreich Gemüse und Spezialkulturen anzubauen. Das beweisen über 8000 Biobetriebe, von denen viele Gemüse produzieren.

Troxler: Wir können schon pestizidfrei produzieren, erreichen aber die Quantität und Qualität von heute bei Weitem nicht mehr.

 

Viele sagen, die Produktion sinke nach Annahme der beiden Initiativen?

Zbinden: Das stimmt nicht. Das Problem heute ist aber, dass wir viel zu viel Fleisch produzieren und konsumieren. Deshalb können wir zu wenig andere Lebensmittel produzieren. Die hohe Fleischproduktion ist weder für das Klima verträglich, noch ist es für unsere Böden gesund. Ökonomisch sinnvoll für den Boden ist es schon gar nicht.

 

Wie wollen Sie uns dazu bringen, weniger Fleisch zu essen?

Zbinden: Da gibt es ganz viele Möglichkeiten. Wir können etwa den Anteil Fleisch senken, indem wir weniger Futtermittel importieren und entsprechend auf diesen Flächen die Ackerbau-Produktion erhöhen.

 

Warum produziert die Landwirtschaft nicht weniger Fleisch und mehr Gemüse?

Troxler: Im Kanton Luzern gibt es wenige Hektaren, die wirklich top sind für Gemüsebau. Weiter verwenden wir sinnvoll über 350’000 Tonnen Nebenprodukte, die sich für die menschliche Ernährung nicht eignen. Ausserdem ist auch das Fleisch für eine ausgewogene Ernährung wichtig.

 

Haben Sie in Sursee zu hohe Pestizid-Werte im Trinkwasser?

Zbinden: Im Sempachersee sicher. Warum finanzieren wir sonst eine Seebelüftung?

Troxler: Das liegt 40 bis 50 Jahre zurück, als es zum Beispiel noch keine Kläranlagen gab, also ist es auch nicht fair, die Fehler nur in der Landwirtschaft zu suchen. Wenn wir vergiftete Böden hätten, würde dann noch etwas wachsen?

Zbinden: Ich dachte, wir sind uns einig, dass wir Verbesserungen brauchen.

Troxler: Mit diesen Initiativen gefährden wir unsere Produktion und haben einen noch kleineren Versorgungsgrad.

Zbinden: Sie weichen aus.

Troxler: Die Nahrungsmittelproduktion noch mehr aus unseren Händen zu geben, ist keine Lösung.

 

Teilen Sie die Angst, dass die Lebensmittelpreise mit einem doppelten Nein steigen?

Zbinden: Teilweise. Momentan zahlen wir für unsere Nahrungsmittel zu wenig – nur gerade 7 Prozent unserer Löhne. Das führt dazu, dass die Bäuerinnen und Bauern ohne Direktzahlungen kein gutes Einkommen haben. Wenn wir eine ökologischere Landwirtschaft haben und weniger Geld für die Umweltschäden ausgeben, weil etwa die Seebelüftung wegfällt, können wir etwas mehr für Gurken zahlen. Ausserdem: Das Problem für ärmere Menschen sind nicht die Lebensmittelpreise, sondern zu hohe Mieten, hohe Krankenkassenprämien und zu tiefe Löhne. Dafür müssen wir kämpfen, nicht für billiges Essen.

Troxler: Es ist nicht einfach «ein wenig mehr bezahlen». Beim Gemüsebau ist es ein riesiger Unterschied, ob Sie biologisch anbauen oder nicht. Eine Hektare Unkraut hacken für Rüebli braucht 400 Arbeitsstunden.

 

Wie wünschen Sie sich die Landwirtschaft in zehn Jahren?

Zbinden: Sie soll den Bäuerinnen und Bauern einen guten Lohn und gute Arbeit ermöglichen. Gleichzeitig wollen wir sauberes Wasser und saubere Böden. Das heisst: weniger Einsatz von Pestiziden und weniger Gülle auf unserem Land. Die Landwirtschaft soll weniger auf den Fleischkonsum fokussieren. Stattdessen soll sie auf extensive, ganz viel verschiedene Gemüse, Getreide, pflanzliche Alternativen zu Fleisch setzten. Dort, wo es nötig ist und nicht anders geht, kann man noch reduziert Fleisch anbauen. Dann hätten wir etwas Gutes für die Bäuerinnen und Bauern getan, hätten die besseren Löhne, und die Konsumenten würden gesündere Lebensmittel essen.

 

Welchen Wunsch haben sie?

Troxler: Dass wir weiterhin unserer Leidenschaft nachgehen können, sei es mit Ackerbau oder mit Tierhaltung. Die Fleischproduktion ist eine sinnvolle Verwertung von Nebenprodukten. Auch wir sind interessiert an sauberem Trinkwasser und einer intakten Natur. Wir arbeiten schon lange da-ran. In Zukunft werden wir noch besser. Dafür braucht es die Initiativen nicht, dies erreichen wir mit dem vom Bundesrat und Parlament abgesegneten Absenkpfad. Wir haben weltweit das strengste Pestizid- und Tierschutzgesetz. Zudem ist die Landwirtschaft die Ernährungssicherheit unserer Bevölkerung, die Anerkennung verdient.

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