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Hier heisst Superman Mr. Plastik

Geri Wyss 28. November 2019

Die Gemeinde Nottwil will die Menschen dafür sensibilisieren, weniger Plastik zu verwenden. Und forciert die Sammlung von gemischten Kunststoffen, die teilweise umstritten ist.

Erlebnisse aus verschiedenen Ländern haben bei Nottwiler Gemeindebehörden beklemmende Eindrücke hinterlassen. So hatte eine Reise in den Kosovo gezeigt, dass Abfälle wie Altpapier oder Plastik teilweise wild deponiert werden. Der Stadtpräsident der kosovarischen Stadt Klina konnte sich in Nottwil ein Bild der lokalen Entsorgungsorganisation machen. Gemäss dem Geschäftsführer der Gemeinde Nottwil, Marius Christ, besteht sogar die Idee, mit Schweizer Hilfe eine zweckmässige Recyclingorganisation in Klina aufzubauen. Noch schlimmer war es in Tansania, wo Gemeindepräsident Walter Steffen selber wunderschöne Strände angetroffen hatte, die mit Plastikmüll übersät waren. «Da müssen wir als Behördenmitglieder Verantwortung übernehmen und für das Thema Plastik sensibilisieren», sagt Marius Christ.

Das Bewusstsein schärfen
Deshalb positioniert sich Nottwil als plastikarme Gemeinde und legt der Bevölkerung die Sammlung von gemischten Plastikarten mit vergünstigt abgegebenen Sammelsäcken nahe. Marius Christ: «Es ist erschreckend, dass über acht Millionen Tonnen Plastik jährlich in die Weltmeere gelangen.» Wenn in einem Haushalt rasch einmal ein gefüllter Sack mit Plastikfolien anfalle, solle dies auch anregen, über das eigene Konsumverhalten nachzudenken, hofft Marius Christ. «Das Ziel liegt darin, den Plastikverbrauch zu reduzieren. Und jeder Plastik, der gesammelt wird, wird nicht in der Umwelt landen.»

Nach Qualität sortieren
Die Gemeinde Nottwil arbeitet bezüglich dem Thema «Plastikarmes Nottwil» mit dem WWF und, was die Plastiksammlung betrifft, mit der Josef Frey AG in Sursee zusammen. Im dortigen Sammelhof können die Säcke mit den gemischten Kunststoffen abgegeben werden. Zudem kündigt Marius Christ an, dass der Werkhof in Nottwil umgestaltet wird, damit auch dort Sammelsäcke vorbeigebracht werden können. Die Thurgauer Firma Innorecycling ist führend im Verarbeiten von gemischten Kunststoffen. Dort landet auch der Nottwiler Plastik, der via der Surseer Josef Frey AG zusammengepresst nach Eschlikon in die Ostschweiz transportiert wird. Innorecycling nimmt eine erste Vorsortierung vor. Danach reist das Material nach Lustenau im österreichischen Vorarlberg, wo man «mittels modernster Technologie», wie Marc Briand von Innorecycling sagt, «die Kunststoffe in sortenreine und gemischte Qualitäten auftrennt». Erstere sind hochwertig und daraus lassen sich – auch in erster Linie für die Industrie interessante – Produkte wie Paletten, Rohre, Transportverpackungen, Kisten oder neue Folien herstellen. Die gemischten Kunststoffe sind qualitativ minderwertiger und werden weiter zu Flocken verarbeitet, welche laut Marc Briand Zementwerken als Ersatzbrennstoffe für Kohle dienen.

Knapp die Hälfte wird verbrannt
50 bis 60 Prozent der gemischt gesammelten Kunststoffe werden heute in neuen Produkten wiederverwertet. Die Vorstellung, dass alle Plastiken zu neuen Folien oder Verpackungen werden, ist falsch. Dennoch: Auch die nach den Zahlen der Innorecycling rund 35 Prozent der in Zementwerken thermisch verwerteten Plastiken machen ökologisch Sinn. Und die restlichen maximal fünf Prozent, die in Verbrennungsanlagen enden, liefern immerhin noch Wärme und Energie.
Mehr Fragezeichen ergibt aktuell jedoch das Kosten-Nutzen-Verhältnis bei der Gemischtsammlung der Kunststoffe, die in Haushalte in erster Linie aus Plastikverpackungen und -folien bestehen. «Der technische Aufwand für die Sortierung der verschiedenen Plastiksorten, die Reinigung und weitere Aufbereitung ist gross und energieintensiv», macht der stellvertretende Sektionschef der Sektion Siedlungsabfälle beim Bundesamt für Umwelt (BAFU), Michael Hügi, deutlich. Entsprechend eher skeptisch sei man der Gemischtsammlung von Kunststoffen gegenüber eingestellt. So vertritt das BAFU unter anderem die Haltung, dass der stofflich hochwertig verwertbare Anteil des Sammelgutes tief sei. «Die sortenreine Sammlung und das Recycling von PET-Getränkeflaschen und Kunststoffflaschen mit Deckel, beispielsweise Milchflaschen aus Polyethylen, wie es beides etwa bei Grossverteilern gibt, macht aus Sicht des Umweltschutzes mehr Sinn», hält Michael Hügi fest. Doch: Je nachdem, wie sich die Situation in den kommenden Jahren aufgrund von technischen Innovationen entwickeln wird, werde das BAFU eine Neubeurteilung vornehmen.

Kunststoffrecycling boomt
Genau dieser stete Fortschritt macht Marc Briand von Innorecycling geltend. Die Recyclingbranche investiere viel in ihre Technologien. «Der prozentuale Anteil der Plastiken, die wiederverwertet werden können, wird in den nächsten Jahren ansteigen», sagt er voraus. Auch sei die kunststoffverarbeitende Industrie bestrebt, den Recyclinganteil von gebrauchtem Kunststoff weiter zu erhöhen. Innorecycling wolle mit ihrem Sammelsack «Bring Plastic back» die Gemischtsammlung in der ganzen Schweiz etablieren, hegt Briand grosse Ambitionen.
Würde es denn nicht viel mehr Sinn machen, die verschiedenen Plastikarten nicht gleich separiert zu sammeln? Schliesslich sind auf den Plastikfolien ja immer die Plastikarten mit einem Symbol ausgewiesen. Marc Briand winkt ab. «Die Konsumentinnen und Konsumenten sind mit der Unterscheidung der verschiedenen Kunststoffe schlichtweg überfordert.» Zudem muss leider bei anderen Abfallarten immer wieder erkannt werden, dass «Entsorger», wenn sie nicht unterstützt werden, schnell mal Plastik in grösserem Ausmass gemischt in den Behältern entsorgen. Somit wird die Sortiertechnologie der Industrie auch weiterhin die Vorsortierung bewerkstelligen müssen.

Nottwil informiert laufend
Dennoch kann mehr Information und Sensibilisierung dem Konsumenten nur guttun, wie es die Gemeinde Nottwil nun vormacht. So wird die Umweltschutzkommission in den nächsten Ausgaben im Nottwil Aktuell jeweils einen Kunststoff-Typ speziell vorstellen. Auf der Webseite der USK wird man ab Januar dank Bildern erfahren, welcher Plastik in die herkömmliche Abfallsammlung, welcher in die Sammelsäcke gehört und welcher davon nicht recyclierbar ist. Bei Fragen kann man sich auch direkt an «Mr. Plastik» unter plastik@nottwil.ch wenden. Dort übernimmt Patrick Enderli die nebenamtliche Aufgabe, mehr Licht ins Dunkel der Plastikflut und des Umgangs mit Plastikabfall zu  bringen.
Auch wenn aus rein ökologischen Überlegungen bei der Plastiksammlung noch nicht alles Gold ist, was folienartig glänzt, ruft Marc Briand von Innorecycling noch in Erinnerung: «Mit der Wiederverwertung von Kunststoffen reduzieren sich die Kohlendioxid-Emmissionen massiv. Mit jedem Kilogramm Recyclingkunststoff aus Haushalten verringert sich der CO2-Ausstoss nachweislich um 2,83 Kilogramm.» Ein Auto, das eine Strecke von 25 Kilometern fahre, erzeuge durchschnittlich die gleiche Menge an CO2, wie nur mit einem Kilogramm Recyclingkunststoff eingespart werde, ergänzt Briand.

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