Lang ist’s her und doch erinnert er sich noch gut an seinen ersten Arbeitstag am 1. Juli 1979 in Nottwil. In einer 4.5-Zimmerwohnung eines Mehrfamilienhauses an der Oberdorfstrasse, in unmittelbarer Nähe der damaligen, doch recht überschaubaren, Gemeindekanzlei im «altehrwürdigen» Schulhaus 1914, bezog Georges Stalder damals sein Büro. «Der Raum war komplett leer, das Mobiliar inexistent: Kein Schrank, kein Schreibpult – einfach nichts», rekapituliert Georges Stalder. Und dies hatte auch seinen
guten Grund, denn mit ihm wurde gleichzeitig eine neue Stelle geschaffen: Während die verschiedenen Rechnungsführungen zuvor jeweils von den zuständigen Gemeinderäten selbst geführt wurden, sollten die Buchhaltungen ab Juli 1979 zentralisiert bei einer zuständigen Person – einem Buchhalter bzw. einem «Steuerkassier», wie er früher genannt wurde, – geführt werden. «Nachdem ich dann also zusammen mit dem damals zuständigen Gemeinderat meine Büroeinrichtung bei der Stima Möbel AG in Sempach auswählen durfte, mein Büro soweit eingerichtet und die Akten beim damaligen Steuerkassier und früheren Gemeindeammann in seinem privaten Büro, allesamt in Harassen gestapelt, abgeholt hatte, konnte ich dann mal anfangen zu arbeiten», berichtet er mit einem Lachen. Und schon sehr bald wurde er auf bisher ungewohntes Terrain gesetzt: «Es war schon leicht irritierend, als ich die Buchhaltungen, allesamt einfach geführt, übernommen hatte. Diese ‘Milchbüchlibuchhaltung’, wie man es auch nennt, hat mir nichts gesagt. Während meiner kaufmännischen Lehre habe ich gelernt, nach kaufmännischen Grundsätzen doppelte Buchhaltungen zu führen. Und das tat ich dann auch und so habe ich dann halt die Buchhaltungen in dieser Form nachgetragen, was doch eine ziemliche ‘Büez’ war.»
Es war eine andere Zeit
Fünf Jahre später, 1984, wurde Georges Stalder zum Gemeindeschreiber gewählt. Bis zu diesem Zeitpunkt amtete sein Vorgänger Anton Zimmermann (†), der insgesamt beeindruckende 50 Jahre im Dienste der Gemeinde tätig war. Mittlerweile befand sich die Gemeindekanzlei im oberen Stock des Cafés Mühle. «Erst 1982 hat man uns, Gemeindeschreiber Anton Zimmermann und mich als Steuerkassier, zusammengetan und unsere Arbeitsplätze zusammengelegt», erklärt der Ur-Nottwiler, der sich noch bestens an die damalige Infrastruktur erinnern kann. Als Vorgänger des heutigen modernen Kopiergeräts stand ein Wachsmatrizen-Vervielfältigungsgerät zur Verfügung, anstatt eines Computers betätigte Georges Stalder eine mechanische Schreibmaschine. Während den Gemeinderatssitzungen in der alten Amtsstube, bei welchen Georges Stalder ab 1984 als Gemeindeschreiber ebenfalls teilnahm, wurden Zigarren und Pfeifen geraucht. Zustände, die man sich heute kaum noch vorstellen kann. Seit gut zwei Jahren hat die Gemeindeverwaltung ihr Archiv digitalisiert, man arbeitet, wo immer möglich, papierlos, auch der Gemeinderat führt seine Sitzungen mit Notebooks und Tablets durch.
Der Dialog hat sich geändert
Auch das Berufsfeld und die damit verbundenen Aufgaben und Tätigkeiten von Georges Stalder haben sich im Laufe der Jahre gewandelt und verändert. «Der Gemeindeschreiber ist seit jeher Anlaufstelle zwischen Bürger und Gemeinderat, jedoch hat sich der Austausch stark verändert. Während früher das Gespräch gesucht wurde, wird heute schon sehr bald ein Anwalt eingeschaltet. Allgemein ist der Bezug zu den Bürgern anders geworden, was ich grundsätzlich sehr bedaure», so Stalder. Auch fänden die Leute heute oft wegen Problemen oder bei Todesfällen den Weg zu ihm, während er zu Anfangszeiten in Nottwil noch selbst Trauungen durchführen durfte. Heute befindet sich das Regionale Zivilstandesamt in Sursee. Protokolle und Schriftlichkeiten seien über die Jahre stets länger geworden. Eine Baubewilligung, die damals noch auf zwei Seiten niedergeschrieben wurde, sei heute so lange und ausführlich formuliert, dass man sie kaum noch lese, geschweige dann noch verstehe. «Die gesellschaftlichen Anforderungen, die technischen Entwicklungen und die Veränderungen von gesetzlichen Grundlagen nahmen in den letzten beiden Jahrzehnten stark zu», meint Georges Stalder. Heute seien bei einem Gemeindeschreiber vor allem auch Kompetenzen in der Führung, Projektorganisation und Kommunikation gefragt.
Ein denkwürdiger Moment
In den letzten 40 Jahren ist die Seegemeinde Nottwil von 1500 auf rund 3900 Einwohnerinnen und Einwohner gewachsen. Aufgrund des Gemeindewachstums kamen immer mehr und vermehrt auch unterschiedliche Verantwortlichkeiten auf die Gemeindeverwaltung zu, sodass der Mitarbeiterbestand aufgestockt und die Verwaltung in Abteilungen aufgeteilt werden musste. Mittlerweile umfasst die Nottwiler Gemeindeverwaltung, die 1993 ihre heutigen Räumlichkeiten im Gemeindehaus «Zentrum Sagi» bezog, rund 900 Stellenprozent, aufgeteilt in verschiedene Voll- und Teilzeitstellen. «Ich kann mich noch gut an die leicht ‘verträumte’ Gemeinde mit bäuerlichem Einschlag erinnern. Inzwischen ist in Nottwil viel passiert: Die Ansiedlung der europaweit renommierten Schweizer Paraplegiker-Gruppe hat der Gemeinde extremen Schub gebracht», sagt der in Nottwil aufgewachsene Georges Stalder. Der Moment, als sich die Bevölkerung am 5. Juli 1985 im bis auf den letzten Platz besetzten Saal des Gasthauses Krone an der ausserordentlichen Gemeindeversammlung einstimmig für die Umzonung in eine Sonderbauzone aussprach, brannte sich als emotionalen Höhepunkt in George Stalders Gedächtnis ein. «Für mich ist das SPZ als einmaliges Gesundheitszentrum und Begegnungsort nicht mehr von Nottwil wegzudenken. Die Synergien zwischen der Gemeinde und der Institution in den Bereichen Kultur und Sport ist für Nottwil nichts anderes als ein Gewinn.»
Von Höhen und Tiefen
Der Planungs- und Bauprozess des Areals des SPZ, das später auch das Ausbildungszentrum des Schweizerischen Roten Kreuzes (heute Hotel Sempachersee) beheimatete, einen Neubau des unterirdischen Militärspitals beinhaltete und in der Ära Stalder realisiert wurde, hat die Verwaltung des «Stern am Sempachersee» stark gefordert. «Viele Sitzungen, teils bis spät in die Nacht, waren das Resultat. Doch ich kann mit gutem Gewissen sagen, dass mir keine einzige Minute zu viel Aufwand war», meint Georges Stalder. Zu den weiteren Meilensteinen seiner beruflichen Kar-riere zählt er unter anderem die Projektbegleitungen des Neubaus Zentrum Eymatt, der Schulhausbauten 1996, 2008 und 2017 sowie des Baus des Sagizentrums.
Doch jede Medaille hat auch eine Kehrseite, und so gehört auch Bedenkliches dazu. Besonders ein kürzliches Ereignis weckt bei Georges Stalder Erinnerungen. «Dass sich die Nottwiler Bevölkerung, wie sich an der Gemeindeversammlung im letzten Herbst zeigte, der Realisierung eines Begegnungsplatzes im Dorf so stark entgegenstellte, damit haben wir nicht gerechnet und ist, wie ich finde, sehr bedauerlich.»
Nach fast 40,5 Jahren ist Schluss
Viel Zeit ist vergangen, seit Georges Stalder in den Dienst der Gemeinde Nottwil getreten ist. Viel hat sich verändert, einiges ist aber auch gleich geblieben: «Ich habe mich stets bemüht, mit den vielen Veränderungen umzugehen und mitzuhalten. Die Teams des Gemeinderates und der Verwaltung sind mir immer am Herzen gelegen und über all die Jahre habe ich mit ihnen gute Beziehungen gepflegt», so Stalder, der nebst seiner Gemeindeschreibertätigkeit auch die Leitung der Abteilung Zentrale Dienste innehat.
Ende Januar nächsten Jahres endet die Ära Stalder. Die Nachfolge ist bereits geregelt: Ab anfangs Oktober wird Silvan Hodel den Gemeindeschreiberposten in Nottwil übernehmen, bis zu seinem Pensionsantritt Ende Januar 2020 wird Georges Stalder ihn in seiner neuen Funktion unterstützen. Die Frage, ob ihm denn nicht vielleicht langweilig werde, wenn er im Sagizentrum nicht mehr täglich ein- und ausgehen werde, verneint Georges Stalder mit deutlichem Kopfschütteln: «Nein, das wird es bestimmt nicht. Schon jetzt habe ich diverse Aufgaben, die auf mich warten. Und ich werde diese privaten Projekte und die Zeit mit meiner Familie und meinen Enkelkindern geniessen. Ich habe hier bei der Gemeindeverwaltung viel erlebt und gesehen, jetzt ist die Zeit reif. Und eins kann ich sagen: Ich war stets und bin noch immer sehr stolz, Nottwiler zu sein!»