Reto Faden, warum betreibt der Mensch überhaupt Spitzensport?
Es geht darum, sein eigenes Potenzial auszuloten, erfolgreich zu sein, aber auch materielle Ansätze oder ganz einfach die Lust auf Bewegung spielen mit. Viele sind auch in einem sportlichen familiären Umfeld gross geworden, welches sie geprägt hat. Eine Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Karriere ist, dass man den Sport mit Freude und Leidenschaft betreibt.
Welche Fähigkeiten muss man mitbringen, soll der Weg zum Spitzensport erfolgversprechend sein?
Junge Athleten müssen bereit sein, viele Entbehrungen und Verzichte zugunsten des Trainings und der Persönlichkeitsentwicklung auf sich zu nehmen. Sie müssen zielgerichtet und fokussiert arbeiten können, es braucht viel Willenskraft und Ausdauer, auch dann weiterzumachen, wenn es mal nicht nach Plan läuft. Natürlich gehören eine gute Konstitution, Talent und Selbstvertrauen ebenso dazu.
Mit solchen Eigenschaften würden sich Spitzensportler eigentlich auch für die Privatwirtschaft eignen.
Das ist so. Es sind genau solche Eigenschaften, die auch erfolgreiche Leute in der Privatwirtschaft auszeichnen. Zu nennen sind auch Erfahrung und Routine, die man sich ebenfalls mit Beharrlichkeit im Spitzensport aneignet.
Erfolgreiche Spitzensportler rufen dann ihre beste Leistung ab, wenn es im Wettkampf zählt. Welchen Zauber packen sie da aus, da doch Nervosität und Anspannung zu einem Ernstkampf gehören?
Das hat weniger mit Zauber zu tun, sondern vielmehr mit eingespielten Abläufen und Automatismen, die man sich angeeignet hat. Was man sich im Training immer und immer wieder verinnerlicht, ruft man im Ernstkampf ab. Dadurch besteht man auch, wenn Unvorhergesehenes passiert oder äussere, nicht beeinflussbare Faktoren vorkommen. Wer aber im Wettkampf plötzlich noch etwas Neues ausprobieren will, läuft Gefahr, zu scheitern.
Welche Rolle spielt die mentale Stärke?
Eine sehr grosse Rolle. Mental probt man den Ernstkampf in Gedanken, Gefühlen, mit Visualisierungen, dies passiert in Form von Probehandeln, denn das Hirn kann nicht unterscheiden, ist etwas real oder nicht. Wer dies am Tag X abrufen kann, fühlt sich selbstsicher und in der Lage, sich in den idealen Leistungszustand zu begeben und seine beste Performance abzurufen.
Was begünstigt Topleistungen weiter?
Die Strukturen, in denen sich eine Athletin oder ein Athlet bewegt. So hat beispielsweise ein Trainer eine grosse Bedeutung. Er soll nicht bloss fachlich top sein, sondern auch noch wissen, wie er mit dem jeweiligen Athleten umgehen soll, und hervorragende menschliche Qualitäten mitbringen. Zudem sollte jeder Trainer über sportpsychologische Hintergründe verfügen, die er im Coaching gezielt einfliessen lassen kann. Heute ist es beinahe unerlässlich, dass ein Spitzenathlet auf ein Netzwerk zurückgreifen kann, das ihn mit Spezialisten auf verschiedenen Ebenen unterstützen kann.
Schon Athleten im Kindes- oder Jugendalter wird viel abverlangt. Sind deren Körper und Psyche denn überhaupt schon gemacht für solche Trainingsbelastungen und den Wettkampfdruck?
Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Man muss wissen, was man wann genau mit den jungen Athleten trainiert. Je nach Alter sprechen sie auf dieses oder jenes besser an, das sind die sogenannten sensitiven Phasen. Es nützt beispielsweise nichts, wenn man mit Kindern schon intensives Krafttraining macht, weil deren Körper die Impulse gar noch nicht richtig verarbeiten und davon profitieren können. Viel wichtiger ist es, dass in sehr jungen Jahren ein spielerischer Zugang zur Bewegung und ein breites Fundament an Koordination und Körpergefühl gelegt werden. Eine gute solche Grundlage können beispielsweise das Geräteturnen oder Leichtathletik liefern. Eine vielseitige sportliche Ausbildung ist das A und O.
Besteht somit Gefahr, dass junge Sportler falsch gefördert oder gar überfordert werden?
Das ist leider oft zu beobachten, dass Fehler gemacht und junge Athleten verheizt werden. Oder sie werden zu einseitig oder schon zu spezifisch trainiert. Sie verlieren den Spass und die Freude am Sport. Im Extremfall kann dies sogar psychische Folgen haben und Fehlverhalten wie Essstörungen, vermindertes Selbstwertgefühl usw. nach sich ziehen.
Rücken wir das konkrete Beispiel des Skifahrers etwas in den Fokus. Wann sollen Eltern mit ihren Kindern damit beginnen?
Das kann schon sehr früh, mit drei, vier Jahren sein. Dann nehmen Kinder viel Grundlegendes auf und spüren, wie es ist, auf dem Schnee zu gleiten, das Gleichgewicht zu halten. Sie lernen jene Bewegungen, die sicheres Skifahren voraussetzen, spielerisch und vielseitig.
Doch Skifahren ist eigentlich eine Risikosportart?
Das kann man so sagen. Beim Skifahren haben über zwei Drittel der Athleten bis etwa 18 Jahre schon einmal ein Kreuzband gerissen. Das hängt auch mit dem Material zusammen. Die heutigen, immer stärker taillierten Skis erlauben immer höhere Tempi und engere Radien. Im raschen Wachstum in der Pubertät sind die Körper für gewisse Krafteinwirkungen noch gar nicht bereit. Deshalb müssen auch die Trainer genau wissen, was sie den Sportlern zumuten können.
Auf dem Weg zum Spitzensport kommt aber irgendwann der Moment, in dem das Risiko für Blessuren steigt. Wie kann man vorbeugen, damit der junge Athlet möglichst vor schwerwiegenden Verletzungen bewahrt wird?
Prävention ist ein sehr wichtiger Aspekt, welchem ich auch als Vizepräsident des Zentralschweizerischen Skiverbands grosses Gewicht beimesse. Die Trainer sollen dahingehend noch verstärkt gecoacht werden, dass sie Sportlern Abläufe und Rituale vermitteln, die ihnen mehr Sicherheit und Routine geben. Das Material ist immer Gegenstand von Veränderungen, damit Verletzungen vorgebeugt werden kann. Dies stellt für die Wissenschaft eine grosse Herausforderung dar.
Wie vermittelt man den jungen Sportlern das Bewusstsein für Verletzungsrisiken, ohne dass sie dann aber mit Angst und angezogener Handbremse Ski fahren?
Es ist wichtig, dass ein Sportler ganz gut auf sich und seinen Körper hört und auch mal sagen kann, dass es heute für ihn nicht stimmt auf der Piste. Ein guter Trainer muss darauf eingehen können. Skifahrerisches Risiko minimiert sich durch Intuition und viel Selbstverantwortung. Das muss man erst einmal zulassen können, stehen dem doch oftmals persönliche Erwartungshaltungen und der Druck des Umfelds entgegen. Dieses Bewusstsein muss jeder Athlet im Laufe seiner sportlichen Karriere selber entwickeln.
Wie kann man Balance zwischen Training und Erholung behalten?
Man darf den Zugang zu sich und seinen Bedürfnissen nie verlieren. Man muss sich selber spüren und auch merken, wenn es genügt und eine Pause nötig ist. Wer sehr ehrgeizig ist, muss lernen, welche Trainingsintensität richtig ist, und darf sich nicht ständig pushen. Erholung stellt einen der wichtigsten Punkte in der Trainingsplanung dar. Schade, dass viele Trainer dieser Situation zu wenig gerecht werden. Schnell kann ein Übertraining entstehen, und es entsteht das Gegenteil von dem, was man erreichen möchte.
Gerade wer nie mit sich und seiner Leistung zufrieden ist, könnte auf die Idee kommen, mit einer verbotenen Substanz nachzuhelfen. Wie verbreitet ist Doping im Leistungssport in der Schweiz?
Ich wage zu behaupten, dass im Breitensport mehr gedopt wird als im Leistungssport, denn in Letzterem hat man verloren, wenn man erwischt wird. Studien haben ergeben, dass 10 bis 20 Prozent der Kunden von Fitnesszentren Muskelaufbaupräparate einnehmen und auch eine nicht unbedeutende Anzahl Volksläufer zu Doping oder leistungssteigernden Mitteln greift.
Sind denn auch schon junge Athleten zu Ihnen gekommen, die erzählt haben, sie stünden an einem Punkt, an dem sie die Einnahme von Doping erwägen würden?
Nein, das habe ich bisher noch nie erlebt.
Wie ist ein Sieg auf Ansage überhaupt möglich, wie ihn beispielsweise Fabian Cancellara mehrfach abgeliefert hat?
Dahinter steht sicherlich ein ausgefeilter Trainingsplan, der darauf ausgelegt ist, dass man genau am Wettkampftag seinen optimalen Leistungszustand erreicht hat. Dass er ihn dann auch abrufen kann, hat wieder mit der mentalen Stärke und den Automatismen zu tun. Es spielen verschiedene Faktoren mit, die ineinandergreifen. Einer davon ist ein kluges Coaching, ein anderer die Reife des Athleten.