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Eine gesunde Mischung machts aus

Red 30. Januar 2019

Gerade mal rund 25 Prozent: So hoch – oder eben niedrig – ist der Frauenanteil im Luzerner Kantonsrat. Eine ausgeglichene Geschlechtervertretung wäre aber wichtig, davon ist Rahel Estermann überzeugt.

Im letzten September nahm Rahel Estermann als Nachfolgerin von Ali R. Celik Einsitz in der Fraktion der Grünen im Luzerner Kantonsrat. Sie engagierte sich zuvor bereits neun Jahre lang aktiv für die Grünen. Im Gespräch mit unserer Zeitung verriet die Wahlluzernerin, wieso der Kanton Luzern für das neue technologische Zeitalter unzureichend gewappnet ist und wie sie sich als junge Frau im Parlament zu behaupten weiss.

Rahel Estermann, Sie sind in Hildisrieden aufgewachsen, wo der Wähleranteil der Grünen eher überschaubar ist. Wann und unter welchen Umständen hat Ihre politische Karriere ihren Anfang genommen?
(lacht). Ja, mit meinem Wegzug nach Luzern vor knapp zehn Jahren verlor Hildisrieden beträchtlich an Wähleranteil. Tatsächlich habe ich schon als Jugendliche die Werte der Grünen, zum Beispiel rund um den Naturschutz oder die Menschenrechte, geteilt.  Selbst politisch aktiv wurde ich dann 2009, als ich nach meinem KV-Abschluss auf dem Parteisekretariat der Grünen Luzern angefangen habe zu arbeiten, um mein anschliessendes Soziologie- und Politikwissenschaftsstudium finanzieren zu können.

Ihr Masterstudium in Soziologie und Medienwissenschaften haben Sie abgeschlossen und Sie sind mittlerweile Doktorandin und Forschungsmitarbeiterin an der Uni Luzern. In Ihrer Dissertation beschäftigen Sie sich mit Datenjournalismus. Was genau versteht man darunter?
Datenjournalisten unterscheiden sich vor allem in einem Punkt von den Journalisten, die wir kennen: Sie schreiben keine Geschichten auf Basis eines Gespräches oder einem visuellen Impuls, sondern basierend auf Daten.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Man nehme beispielsweise die Datenbank mit den erhobenen Verkehrszahlen eines bestimmten Gebietes oder einer spezifischen Messstelle. Mit neuartigen, computergestützten Methoden und journalistischen Praktiken werden die Daten analysiert und da-raus eine Geschichte geschrieben – beispielsweise, wieso immer am Dienstagabend das Verkehrsaufkommen am grössten ist. Ich als Soziologin beobachte, wie Datenjournalisten vorgehen und welchen Einfluss Datenjournalismus auf unsere Gesellschaft und unser Leben hat.

Digitalisierung und «Big Data» sind Schlagwörter, die auch in Ihrer Politik immer wieder durchsickern. Ist die Netzpolitik eine für die Grünen typische Politik?
Wenn man sich wissenschaftlich mit der Gesellschaft beschäftigt, fragt man sich zwangsläufig, was Technik mit uns macht. Technik und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft spielt eine wichtige Rolle für eine nachhaltig organisierte Welt, weshalb die Grünen sich so früh wie keine andere Partei mit der Digitalisierung auseinandergesetzt haben. Der wohl bekannteste Grüne Digitalpolitiker ist Balthasar Glättli, aber es gibt viele weitere aktive Grüne, die bestens vernetzt sind mit anderen Akteuren aus der Netzpolitik.

Die Grünen mit ihren Wollsocken sind dieselben, die sich mit Technologiethemen auseinandersetzen. Passt das zusammen?
Das Bild des «typischen Grünen» ist nach wie vor stark stigmatisiert und mit veralteten Vorurteilen behaftet. Dieses Bild wird vielen Grünen nicht gerecht und es scheint noch immer stark in den Köpfen der Leute verankert zu sein, leider.

«Der Kanton Luzern ist noch nicht wirklich bereit für das neue technologische Zeitalter», lautete einst ein Zitat von Ihnen in einer offiziellen Medienmitteilung der Grünen Kanton Luzern. Können Sie dies erläutern?
Da gibt es mehrere Erklärungsansätze. Kanton und Gemeinden überlegen sich noch viel zu wenig, wie sie mit der Bevölkerung zusammen aktiv Digitalisierung nutzen könnten – zum Beispiel für bessere Mobilität und Dienstleistungen auf dem Land. Oder indem sie datenschutztechnisch unproblematische Zahlen öffentlich zur Verfügung stellen, zum Beispiel eben Verkehrszahlen, sogenannte «Open Government Data».

Unter diesem Ansatz haben Sie im letzten Oktober als frisch vereidigte Kantonsrätin auch einen Vorstoss eingereicht.
Genau – und es haben sogar Vertreter der FDP und der CVP unterzeichnet! Die Chance, Andersdenkende abholen zu können, existiert also auch in einem klar bürgerlichen Parlament.

Und weitere Erklärungsansätze?
Ein ganz wichtiger und gleichzeitig besorgniserregender Punkt ist die Datenschutzsituation. Die Stelle des kantonalen Datenschutzbeauftragen, Ansprechpartner für Verwaltungen und auch Unternehmen, war während drei Monaten nur «im Notfalldienst» und jetzt neu besetzt. Man wird sehen, wie es sich entwickelt. Aber es ist anzunehmen, dass eine einzige Person kaum ausreichend Ressourcen haben wird, den Datenschutz für einen ganzen Kanton zu regeln, geschweige denn öffentlich für das Thema sensibilisieren zu können …

Datenschutz: Ein weiteres Grünes Thema?
Absolut. Datenschutz ist eines unserer Grundrechte und ein allgemeines Menschenrecht. Wenn es um Datenschutz geht, geht es, banal gesagt, um Gerechtigkeit. Jeder Mensch, egal welchen sozialen Status er hat, sollte über Datenschutz informiert und geschult sein.

Sie haben vorhin Ihren Vorstoss erwähnt: ein Erfolg. Und was sind die Schwierigkeiten, denen Sie sich im politischen Alltag stellen müssen?
Es ist eine Herausforderung, eine Frau im Kantonsrat zu sein. Der Frauenanteil im Luzerner Parlament liegt bei rund 25 Prozent. Entspricht also der  Hälfte dessen, was es eigentlich sein sollte. Zudem wird der Kanton von fünf bürgerlichen, älteren Herren repräsentiert. Das weibliche Vorbild ist inexistent.

Wird den Frauen der Zugang aufs politische Parkett erschwert oder erschweren sie sich diesen vielleicht sogar selbst?
Beides, würde ich sagen. Ich kann keineswegs von offensichtlicher Diskriminierung sprechen, trotzdem gelten aber in der Politik noch klar die männlichen Regeln und Netzwerke. Gleichzeitig scheinen sich die Frauen in vielerlei Hinsicht weniger zuzutrauen als die Männer – und sie machen sich häufiger mehr Gedanken als das andere Geschlecht.

Das heisst …?
Das heisst, dass man als Politikerin häufiger in der Öffentlichkeit steht, man muss sich exponieren und man macht sich dadurch verwundbar. In den Medien erscheinen manchmal gekürzte Zitate und auf Personen zielende Kommentare. Über solche Dinge macht sich ein Mann gewöhnlich weniger Gedanken als eine Frau. Das sehe ich aber nicht als eine schlechte Eigenschaft. Im Gegenteil: Reflektiert zu handeln, betrachte ich als Qualität.

Inwiefern wäre die Politik anders oder «besser», wenn mehr Frauen im Parlament vertreten wären?
Von «besser» würde ich nicht sprechen, aber anders. Nicht die Themen wären wohl anders, sondern der Stil, wie man politisiert. Man würde anders kommunizieren und vielleicht auch etwas mehr zuhören. Eine gute und gesunde Mischung macht für mich eine gute Politik aus. Man kann jeden Wirtschafter fragen: Diversität ist das, was wir anstreben müssen: kulturelle Diversität, geschlechterspezifische Diversität, Meinungsdiversität.

Seit 2015 gibt es keine Frau mehr im Luzerner Regierungsrat. Mit Korintha Bärtsch haben die Grünen als einzige Partei eine Frau zur Wahl Ende März gestellt. Man könnte sagen, die Grünen sind aussergewöhnlich fortschrittlich, gar feministisch …
Ja, wir legen definitiv Wert darauf, eine ausgeglichene Kandidierendenliste zu präsentieren. Wir sind feministisch in dem Sinne, dass wir für eine Gleichberechtigung einstehen. Im Wahlkreis Luzern-Stadt haben wir erreicht, von 24 Listenplätze je 12 Männer und 12 Frauen zu stellen. Dies gelingt aber nur, wenn man die Frauen unterstützt und sie motiviert.

Dieses Ziel verfolgt auch das überparteiliche Netzwerk frauen-luzern-politik, das sich zum Ziel gemacht hat, den Frauenanteil bei den bevorstehenden Wahlen zu erhöhen. Wie denken Sie über die Initiative der leitenden Kerngruppe?
Ein solches Netzwerk finde ich enorm wichtig. Die Frauen der Kerngruppe, mit Ausnahme der SVP-Vertreterin, haben den Kantonsrat und die Regierung überzeugt, dass in den Wahlunterlagen eine Seite mit Informationen und Hinweisen zur Unterrepräsentation der Frau im Parlament eingebaut wird. Somit ist eine überparteiliche Unterstützung spürbar, was Mut macht.

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