Hans Weber ist seit acht Jahren Pfarrer in Sempach, das zur reformierten Kirchgemeinde Sursee gehört. Es ist Usus in der Reformierten Kirche, dass Pfarrer nach dieser Zeitspanne in derselben Stelle einen Weiterbildungsurlaub beziehen. Ab dem 1. April bis Mitte August wird Hans Weber somit durch Pfarrer Theo Leuenberger vertreten, der viele Jahre lang Pfarrer im bernischen Grosshöchstetten war.
Hans Webers Auszeit, von der die Öffentlichkeit ebenfalls profitieren wird, setzt sich aus drei Teilen zusammen. Erst einmal besucht er Vorlesungen an der Theologischen Fakultät der Universität Luzern, die sich um Wundergeschichten im neuen Testament drehen. Dabei wird beleuchtet, was es mit den erstaunlichen Erzählungen von Wundern wie zum Beispiel der Verwandlung von Wasser in Wein auf sich hat und wie diese in der heutigen Bibelwissenschaft ausgelegt werden. «Diese Vorlesungen bieten Inputs für spannende Predigten», sagt Hans Weber.
Einkehr auf Wanderschaft
In einem zweiten Teil seines Studienurlaubs geht der Sempacher Pfarrer auf Wanderschaft. Geplant hatte er, sich auf die Spuren des Apostels Paulus zu begeben, die ihn nach Kreta und in die Südtürkei geführt hätten. Doch die Coronapandemie macht dies schwierig und verlangt nun Flexibilität von ihm. So wird Hans Weber voraussichtlich 40 Tage zu Fuss unterwegs sein. 40 ist eine hochbiblische Zahl, weilte doch etwa Jesus 40 Tage in der Wüste, um zu fasten und den Versuchungen des Teufels zu widerstehen. Und das Volk Israel war nach dem Auszug aus Ägypten 40 Jahre lang unterwegs, bis es das gelobte Land erreichte. Weber will sich aber nicht den Versuchungen des Teufels aussetzen, sondern ab der französischen Grenze auf dem Jakobsweg durch Spanien ziehen. Und das «gelobte Land» ist in seinem Fall zunächst Santiago de Compostela und schliesslich Finisterre an der Atlantikküste. Von dieser Reise wird er der Öffentlichkeit mit einem Bildvortrag berichten.
Apokryphen nachspüren
Drittens wird das breite Publikum – und somit nicht nur Mitglieder der reformierten Kirche – mehr erfahren über urchristliche Schriften, die nicht in der Bibel zu finden sind. Diese sogenannten Apokryphen stammen zwar wie die bekannten Evangelien oder die Paulusbriefe aus dem frühen Christentum, aber sie schafften es an den «Redaktionssitzungen» in den Jahren 100 (Jafna), 419 (Karthago) und 1545 (Trient) nicht in die Bibel. Weber erklärt die möglichen Gründe: «Sie passten der damaligen Kirche inhaltlich oder religionspolitisch nicht oder sie lagen zeitlich und geografisch zu weit weg von den klassischen Evangelien.» Oder aber sie seien zum Zeitpunkt dieser Redaktionssitzungen schlicht nicht bekannt oder verschollen gewesen, wie etwa jene 45 Apokryphen, die bei einem spektakulären Fund in Ägypten erst im Jahre 1945 wieder ans Tageslicht gekommen sind.
Auch starke Frauen kommen vor
«Apokryphen offenbaren Erstaunliches aus der Welt der ersten Christen», weiss Hans Weber. «Sie zeigen zum Beispiel einen jungen Jesus, wie wir ihn aus der Bibel nicht kennen: Er hat Ärger mit Lehrern oder ist als Knabe ungestüm, ja gar gewalttätig.» Andere Apokryphen legten nahe, dass es Sakramente oder Kirchenlehre nicht unbedingt brauche, um Gott nahe zu sein, denn das nötige Rüstzeug trage jeder von Geburt an in sich selbst. «Wieder andere dieser Schriften zeigen starke und heldenhafte Frauen, die in unserer Bibel leider rar sind», erläutert Weber weiter.
Viel Interpretationsbedarf
In seinen Romanen wie «Sakrileg» oder «Illuminati» postuliert der Autor Dan Brown deshalb, solche Schriften seien von der mittelalterlichen Kirche absichtlich unter Verschluss gehalten worden. Sie sind aber durchaus in wissenschaftlicher Literatur gesammelt und überliefert, und man kann einige von ihnen auch im Internet finden. Bei Hans Weber ist gespannte Vorfreude zu spüren: «Vieles ist noch nicht kommentiert und gedeutet. Da gibt es für Apokryphenforscher noch Arbeit zuhauf.» Er erwarte einen spannenden Krimi. «Gerne werde ich in einigen apokryphen Fällen ermitteln und meine Erkenntnisse nach dem Studienurlaub der Öffentlichkeit vorstellen.»