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Sempach

Rinder sterben ohne Panik oder Stress

Geri Wyss 25. März 2021

Biologischer Landbau betreibt Roger Fleischlin seit 25 Jahren. Neu gibt es auf seinem Hof stressfreieres Fleisch dank eines ethischeren Verfahrens.

Um 10 Uhr fährt Mischa Hofer mit einem Anhänger auf den Hof Weni-schwand, einen Kilometer Luftlinie entfernt vom Steinibüelweiher in Sempach. Angeschrieben ist der Anhänger des Emmentalers mit «Hofschlachtung». Er kommt zu Landwirt Roger Fleischlin und seiner Partnerin Katrin Gisler, die erstmals eine sogenannte stressfreie Hoftötung durchführen. «Für Rinder ist das Aufladen, Transportieren und Entfernen aus der Herde immer ein Stressfaktor», sagt der Landwirt. Den Gang in den Schlachthof möchte er nun erstmals einem Rind ersparen und es in vertrauter Umgebung sterben lassen.

 

Ohne Druck auf die Rinder

Michi, ein 16 Monate altes Simmentaler Rind, wählte Fleischlin für die Premiere aus. Mischa Hofer parkiert seinen Anhänger so, dass er hinten das Tor öffnen kann und an den Aussenbereich des Rinderstalls grenzt. Jetzt soll der Landwirt Michi in das installierte Fangmodul (oder Selbstfanggatter) locken. «Wenn Michi Maiswürfeli fressen kann, ist er glücklich», sagt der Landwirt und stellt einen Eimer dieser Leckerei ins Modul. Das Warten auf Michi beginnt.

Weil diese Hoftötung ohne jegliche Einwirkungen ablaufen soll, darf Roger Fleischlin keinerlei Druck auf Michi ausüben. Die Idee ist, dass alleine der Hunger nach dem Futter ihn antreibt. «Das angefütterte Tier fängt sich selbsttätig ohne Manipulation in dem aktiven Fangmodul», schreibt Mischa Hofer auf seiner Homepage. Michi möchte aber nicht. Nach langen Minuten des Wartens wechselt Roger Fleischlin auf Wuschel. Dieses Rind hat offenbar genügend Hunger, um dem Geruch der Maiswürfel zu folgen.

 

Eine Kamera zeichnet alles auf

Sobald Wuschel im Fangmodul ist, wird Mischa Hofer aktiv. Er betäubt das Rind professionell mit einem Bolzenschuss. Danach wird es ins Innere des Anhängers befördert, das Tor hinten schliesst sich automatisch. Im Innern führt er einen Bruststich durch und entblutet den nun toten Tierkörper. Eine Kamera zeichnet den Schlachtvorgang auf. «So ist die Rückverfolgbarkeit zu 100 Prozent gegeben», klärt Roger Fleischlin auf. 

Eine bewilligungspflichtige Vorschrift ist, dass nach der Hoftötung der Schlachtkörper innerhalb von 45 Minuten in einem Schlachtbetrieb ausgenommen ist. Mit der Metzgerei Rüttimann AG in Hildisrieden hat er einen erfahrenen Partner und erfüllt diesen Punkt problemlos. «26 Minuten nach der Abfahrt haben die Metzger das Rind ausgenommen», erklärt Fleischlin. Alles sei tipptopp gegangen. Vorschriftsgemäss begleitete eine Veterinärin des Kantons den ganzen Ablauf.

 

Auch in Würde sterben

Nach der ersten Hoftötung erzählt Roger Fleischlin, warum er diesen Aufwand betreibt: «Rinder sollten nicht nur ein gutes Leben haben, sie sollten auch in Würde geschlachtet werden. Die Bevölkerung möchte einen anderen Umgang mit den Tieren. Mit dieser Art der Schlachtung können die Tiere ihren letzten Weg in ihrer gewohnten Umgebung gehen, ohne etwas davon mitzubekommen und ohne Aufregung, Stress oder Panik.» Es sei wichtig, dass dem Konsumenten die Möglichkeit geboten werde, qualitativ hochwertige Produkte, die nach moralischen und ethischen Grundsätzen produziert würden, in der Region zu kaufen. Ein Aber fügt er hinzu: «Diese aufwendige Art – mehr Tierwohl, Ökologie und Nachhaltigkeit – hat ihren Preis, es wird sich zeigen, ob die Konsumenten bereit sind, den Mehraufwand dafür zu bezahlen.»

Am Freitag, 19. März, konnte Roger Fleischlin den ersten Teil des Fleisches an seine Kunden liefern. Acht Kunden bekommen je ca. 20 kg Fleisch. Dafür zahlen sie rund 34 Franken pro kg. Im Mai findet die zweite Hoftötung bei ihm statt. Eine siebenseitige provisorische Verfügung des kantonalen Veterinärdienstes erlaubt ihm insgesamt fünf Hoftötungen. Wenn die Überprüfung der Arbeitsabläufe und der Selbstkontrolle den Vorgaben entspricht, kann er die Hoftötungen fortsetzen. Sie sind übrigens erst seit einem halben Jahr in der Schweiz erlaubt.

 

20 Muttertiere und 30 Kälber

Der Wenischwand-Landwirt produziert für die Migros «Bio-Weide-Beef» von Tieren, die mit hofeigenem Grundfutter aus Gras und Mais gefüttert werden. «Wir halten 20 Muttertiere mit 30 Kälbern im Alter von 1 Tag bis 18 Monaten», sagt Roger Fleischlin. Im ersten Jahr würden die Kälber, die im Winter auf die Welt kämen, von Juni bis September 100 Tage auf einer Alp in Flühli weiden. Im Herbst kämen sie zurück auf den Hof. Rund 20 Rinder schlachtet er im Jahr.  

 

Wie Landwirt Ruedi Müller aus Knutwil seine Schweine hält und was Veganer und Vegetarier vom Fleischkonsum halten, lesen Sie ab morgen Sonntag auf www.sempacherwoche.ch.

 

Ist Fleisch essen richtig oder falsch?

Fleisch hat viele Seiten. Es ist Nahrungsmittel auf dem Teller, Konsumgut in der Metzgerei, Rohstoff im Schlachthof, Tier im Stall. Fleisch hat unmittelbare Effekte auf Klimawandel und Tierrechte. Nachdem die Produktion von Fleisch in den letzten 150 Jahren massiv zugenommen hat, stellen sich heute viele die Frage: Ist Fleisch essen richtig oder falsch?

Fleisch hat auch eine lange künstlerische und literarische Tradition, in der die Lust am und der Ekel vor Fleisch verhandelt wurde. Die Nationalbibliothek in Bern ist dieser Entwicklung nachgegangen und hinterfragt in «Fleisch – Eine Ausstellung zum Innenleben» seine Rolle zwischen Lebewesen, Ware und Genussmittel. Die Ausstellung will dazu anregen, aus verschiedenen Perspektiven auf diesen Stoff zu blicken. Sie dauert bis am 30. Juni. Der Eintritt ist frei. Am 3. Mai, um 12 Uhr, sowie am 15. Juni, um 18 Uhr, finden öffentliche Führungen statt. 

 

Adam und Eva waren Veganer

Adam und Eva ernährten sich ausschliesslich von Früchten und Pflanzen, steht in der Bibel. Noah bekam dann nach der Sintflut von Gott zu hören: «Alles, was sich regt und lebt, das sei eure Speise; wie das grüne Kraut habe ich’s euch alles gegeben.» 

Die Wissenschaft geht davon aus, dass der Homo erectus vor 1,5 Millionen Jahren mit dem Lernen, Feuer zu entzünden und Werkzeuge zu schmieden, das Fleisch als Nahrung entdeckte. Vor rund 200’000 Jahren begann die Ära des Homo sapiens, der bereits erfolgreich Grosswild jagte. Forscher vermuten, dass nährstoffreiches Fleisch den damaligen Menschen grösser und klüger machte. Einige schreiben gar, der aufrechte Gang sei nur entwickelt worden, um besser jagen zu können.

Heute brauchen wir kein Fleisch mehr, um zu überleben oder gescheit zu sein. Die Wahl, darauf zu verzichten oder einen bewussten Umgang mit dem Fleischkonsum zu pflegen, steht allen offen.

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