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Sempach

Rückkehr zur Schlacht wird wahrscheinlich

Geri Wyss 03. Juli 2020

Störungen durch politische Extreme haben die Gedenkfeier Sempach massgeblich verändert. Nun zeichnet sich ab, dass der Ort des Geschehens, die «Schlacht», wieder miteinbezogen werden soll. Wir eröffnen die Debatte darüber und über die Ausrichtung der Feier.

Nach zehn Jahren ging dieses Jahr wieder einmal ein Gedenkanlass zur Schlacht von Sempach in der «Schlacht» über die Bühne. Wegen Corona zwar nur in geschlossenem Kreis, fand am vorletzten Sonntag ein Gedenkgottesdienst und Festakt hinter der Schlachtkapelle statt (Ausgabe vom Donnerstag, 25. Juni). Die Organisation der Gedenkfeier obliegt dem Kanton Luzern, unterstützt durch eine kommunale Sempacher Kommission. Nach dem Marschhalt der traditionellen Feier wegen zu hoher Sicherheitskosten (siehe Kasten) wurde der Schauplatz ab 2010 vollständig ins Städtli und an den See verlegt.

Bei der Umsetzung der Feier redet der jeweilige Regierungspräsident ein gewichtiges Wörtchen mit. Paul Winiker (SVP) drückte seine Freude über die Gedenkfeier in der «Schlacht» am vergangenen Sonntag aus. Er sagte unter anderem, dass man dieses Jahr quasi eine Lightversion des gesamten, neuen Programms der Gedenkfeier «hier oben» erlebe. Damit deutete er an, dass man mit dem Gedanken spielt, die Gedenkfeier oder Teile davon in Zukunft wieder in der «Schlacht» abzuhalten. «Das ist 2021 sicherlich eine Option», bestätigt Franco Mantovani von der Staatskanzlei, der als Projektleiter und Sprecher der Gedenkfeier fungiert.

 

Bevölkerung gehört dazu

Unter den rund 120 geladenen Gästen an der Gedenkfeier waren auch der Sempacher Stadtpräsident Franz Schwegler, CVP-Ständerätin Andrea Gmür, CVP-Nationalrat Leo Müller und SVP-Nationalrat Franz Grüter. Sie alle sprechen von einer würdigen Feier am schönen Ort bei der Schlachtkapelle, bedauern aber auch, dass sie unter Ausschluss der Öffentlichkeit hatte stattfinden müssen. Denn darüber ist man sich einig: «Die öffentliche Beteiligung gehört zwingend dazu», sagt Andrea Gmür, und Leo Müller fügt an: «Unbedingt sollen künftige Feiern – und wir alle hoffen ja, dass wieder andere Zeiten kommen – wieder mit der Teilnahme der Öffentlichkeit stattfinden.» Der Austausch mit der Bevölkerung sei unglaublich wichtig, denn die Politik lebe vom Austausch von Erfahrungen, Meinungen und Argumenten. Franz Schwegler seinerseits findet, dass eine Gedenkfeier ohne Bevölkerung wie eine Erstkommunionfeier ohne Eltern und Verwandte sei. Er erinnert an die drei Kürzel, welche für die Gedenkfeier Sempach stünden: «Gedenken – begegnen – feiern.»

Ins gleiche Horn stösst auch Franz Grüter. Bei der Frage nach der Grösse der Feier beginnen dann die Ansichten zu variieren. «Die Feier sollte auch künftig in einem ähnlichen Rahmen abgehalten werden wie in diesem Jahr und überschaubar bleiben», findet Grüter. Dadurch hielte sich auch das Sicherheitsdispositiv in Grenzen und mit ihm die Kosten. Andrea Gmür hingegen ist überzeugt, dass eine Feier am Ort des Geschehens «auch im grossen Kreis wieder möglich ist. Geschichte wird da einfach intensiver spürbar, das soll für alle möglich sein».

 

Versöhnung und Frieden feiern

Die Sempacher alt Kantonsrätin Heidi Frey hatte sich im Parlament mit Vorstössen für eine Rückkehr der Feier aufs Schlachtfeld stark gemacht. Die Mehrheit der Kantonsräte erklärte 2015 ein Postulat von ihr als erheblich, das den Regierungsrat aufforderte, zu prüfen, ob die Gedenkfeier in absehbarer Zeit wieder in der «Schlacht» stattfinden könne. Seither erstattet der Regierungsrat jedes Jahr neu Bericht über die Umsetzung der Feier. Das entspricht dem Auftrag, den der Kantonsrat dem Regierungsrat im Jahr 2015 per Postulat mitgegeben hat. Heidi Frey ist auch heute noch der Meinung, dass es schön und sinnvoll wäre, künftig die Schlachtkapelle und das Schlachtfeld wieder miteinzubeziehen. «Ich habe aber gelernt, geduldig zu sein.» Als wichtig und zentral erachtet sie, dass es eine Gedenkfeier sei, bei der Versöhnung und Frieden im Vordergrund stünden. «Ich habe grössten Respekt vor allen Verantwortlichen, die entscheiden müssen, wo und in welcher Art die Gedenkfeier Sempach abgehalten werden soll.»

 

Rückkehr zur «Schlacht» erwünscht

FDP-Kantonsrätin Rosy Schmid, die seinerzeit die kantonsrätlichen Debatten um Heidi Freys Vorstösse zur Gedenkfeier auch miterlebt hatte, hält fest, dass das Gedenken auf dem historischen Boden der Schlacht stattfinden sollte. Doch auch das Städtli solle eine Rolle spielen. «Die Verbindung von Sempach mit dem Schlachtfeld ist wichtig und historisch begründet.» Der Marsch von der Stadt hinauf zur «Schlacht» betitelt sie als das kritischste Element. «Dieser müsste in anderer Form stattfinden können.»

Auch der Sempacher CVP-Präsident Marcel Hurschler und seine Amtskollegin bei der FDP, Monika Grüter, sprechen sich für eine Feier in der «Schlacht» aus. Grüter: «Die FDP.Die Liberalen Sempach würden Bemühungen diesbezüglich unterstützen.» Und Hurschler ist «offen, dies wieder zu versuchen. Seit den Problemjahren ist doch einige Zeit vergangen». Stimmen, die an die alte Stätte der «Schlacht» zurückwollen, gibt es etliche. Stadtpräsident Franz Schwegler gewinnt aber auch der Feier im Städtli viel Positives ab. «Für mich ist das Morgenbrot im Städtli mit dem nachfolgenden historischen Einzug gesetzt.» Hier müsse die Bevölkerung ganz einfach teilhaben. Ob dann die jeweils rund 1000 Besucher nachher alle auch noch aufs Schlachtfeld marschieren würden, bezweifelt Schwegler.

 

Kein Diktat durch Extremisten

Er ist aber unmissverständlich der Meinung, dass er keine abgespeckte und angepasste Variante wolle, nur um Störungen Dritter zu vermeiden. Monika Grüter ist sogar für einen Ausschluss von als extremistisch eingestuften Gruppen. «Es ist eine falsche Toleranz, solche Leute an diesem Anlass dabeizuhaben.» Franz Schwegler relativiert indes die Gefahr, dass bei einem Miteinbezug des Schlachtfelds wieder politische Ex-
tremisten auftauchen könnten wie noch am Ende der Nullerjahre. «Gemäss Erfahrungen und Aussage der Polizei sind keine Aufmärsche zu erwarten, solange die Feier an einem Sonntag stattfindet.»

 

Aufmärsche nicht vom Tisch

Der grüne Kantonsrat und Rechtsextremismusexperte Hans Stutz ist hingegen der Ansicht, dass mit einer Feier auf der «Schlacht» der Anreiz für die Rechtsextremen, sich vor Ort erneut zu zeigen, wieder da sein werde. «Die Wahrscheinlichkeit ist hoch.» Allerdings dürfte die Anzahl geringer sein als noch vor Jahren, schätzt er. Heute habe die Bewegung eher Mühe zu mobilisieren, vor allem jüngere Leute, da mit den kaum mehr existenten Hammerskins eine Rekrutierungsbasis weggebrochen sei. Der Sempacher CVP-Präsident Marcel Hurschler drückt seine Hoffnung aus, dass die politischen Extreme in den vergangenen Jahren auch gelernt hätten, welche Bedeutung solche Anlässe hätten und daher Störungen als unangemessen erachteten.

 

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Hans Stutz stellt die heutige Form der Gedenkfeier grundsätzlich in Frage. «Die militärhistorische und christliche Prägung ist überholt.» Er fände es begrüssenswert, wenn man in erster Linie die Gründung des Territorialstaats Luzern ins Zentrum stellen würde. «Dabei müsste man auch die heutigen Gegebenheiten im Kanton Luzern thematisieren und die aktuellen Verhältnisse abbilden. Dazu zählt beispielsweise, dass rund ein Drittel der Menschen nicht bürgerlich wählt oder rund 20 Prozent der hier Lebenden einen Migrationshintergrund aufweisen.»

 

Themenweg angedacht

Ständerätin Andrea Gmür hingegen spricht sich für die «bewährte, friedliche Gedenkfeier» aus, die man neu aufleben lassen solle – für die ganze Bevölkerung. «Es soll vorwärts geschaut und neu begonnen werden.» Auch Franz Schwegler sagt, dass die Feier mit Festpredigt und Ansprache «sehr gute Inhalte zu diesem Ereignis» biete. Und der besondere Ort der «Schlacht» soll vermehrt in den Fokus gestellt werden. «Im Auftrag des Stadtrats befasst sich eine Arbeitsgruppe zusammen mit dem Regionalen Entwicklungsträger Sursee-Mittelland mit der Erarbeitung eines Themenwegs von Sempach und Hildisrieden zum Schlachtfeld.»

«Die Sempacher Schlacht ist eigentlich ein Luzerner Tag»

Historiker Wie soll man einer kriegerischen Auseinandersetzung wie der Schlacht von Sempach gedenken? Und wie geht man mit Extremisten um? Der Historiker Kurt Messmer legt seine Sicht dar und spricht sich dezidiert dafür aus, das Konzept zu überdenken und an die heutige Zeit zu adaptieren.

 

Wie wichtig ist es, dass man einer Schlacht am Ort des Geschehens gedenkt, in Sempach somit im Gebiet mit dem Flurnamen «Schlacht»?

Eine selbstbewusste Gesellschaft entscheidet selber, wo sie über ihre Geschichte nachdenken und feiern will. Dass die Gedenkfeier örtlich auf Sempach begrenzt wurde, hatte seine guten Gründe. Nach zehn Jahren hat sich die Lage aber entspannt. Ohne Not sollte man die «Schlacht» nicht mehr meiden. Es gibt keine Geschichte ohne Orte und keine Orte ohne Geschichte. Zeit und Raum gehören zusammen.

 

Kann denn eine würdige Feier nicht einfach ausschliesslich im Städtli stattfinden, wie dies seit 2010 der Fall ist?

Entscheidend ist, dass überhaupt ein Gedenkanlass durchgeführt wird. In einer komplexen Welt, die sich rasch wandelt, ist historisches Bewusstsein nötiger denn je. Wir müssen uns klar werden, was uns geprägt hat, im Guten wie im weniger Guten.

 

Wie müsste eine Gedenkfeier aus Sicht eines Historikers ausgestaltet sein, damit sie dem Gedenken an dieses kriegerische Ereignis gerecht wird und auch für die breite Öffentlichkeit Geschichte erlebbar macht?

Das Stadtarchiv Sempach, das Rathausmuseum und die Städtli-Führerinnen und -führer hätten bestimmt attraktive Angebote für diesen Gedenktag. Kommt dazu, dass die Sempacher Schlacht eigentlich ein Luzerner Tag ist. Im ganzen Kanton könnte man jeweils die Geschichte gemeinsam unter die Füsse nehmen und sich – nebst viel Kultur und Geselligkeit – aktuellen Herausforderungen stellen: Integration, Zusammenhalt von Jung und Alt, Verantwortung gegenüber der Natur.

 

Ist die Schlacht von Sempach nicht noch immer verpolitisiert und eine Rückkehr der Feier aufs Schlachtfeld mit der Gefahr verbunden, dass wieder politische Extreme auftauchen könnten?

Aus meiner Sicht wird die sogenannte Verpolitisierung überschätzt. Die Frage, ob der Gedenkanlass künftig wieder in der «Schlacht» stattfinden soll, steht vielleicht deshalb so stark im Zentrum, weil es schwierig ist, punkto Inhalt und Form weiterzukommen. In einer pluralistischen Gesellschaft wie der unseren sind vermutlich Lösungen zu suchen über eine Palette ganz unterschiedlicher Angebote.

Kurt Messmer, Emmenbrücke, ist freischaffender Historiker mit Schwerpunkt Geschichte im öffentlichen Raum.

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