Abgesehen vom Nachkriegsmodell einer idealen Ehe hat das 1958 uraufgeführte Theaterstück des Schweizer Starautors Max Fisch, «Biedermann und die Brandstifter», nichts an Aktualität eingebüsst. Dies gerade deshalb, weil die darin vorkommenden Charaktere vielmehr einen Typus als ein wirkliches Individuum verkörpern. Dies zeigt sich bereits an der Hauptfigur, Gottlieb Biedermann. Eigentlich beschrieb das Adjektiv «bieder» früher einen rechtschaffenen, tüchtigen und wohlanständigen Menschen. Bei Frisch erhält seine heutige Bedeutung – engstirnig, rückständig und heuchlerisch – mit der Figur Biedermann einen zeitungebundenen Anstrich. Biedermanns erschreckende Ignoranz, gegen die sich in seinem Haus tummelnden Brandstifter energisch einzuschreiten, entbehrt nicht dem Gegenwartsbezug. Sein Typus wirft eine Grundfrage auf, die uns auch heute umtreibt: Wie sollen wir gegenüber aktuellen, bildlich gesprochen Brandgefahr in sich bergenden Zuspitzungen handeln?
Umfassend blind und taub
So wie Biedermann jedenfalls nicht, der sich als Verkörperung gutbürgerlicher Selbstgefälligkeit in Szene setzt. Er, der erfolgreiche Haarwasserfabrikant, erlaubt dem ehemaligen Ringer und Obdachlosen Josef Schmitz, auf dem Estrich zu übernachten. Blind und taub zeigt er sich Schmitz’ Andeutung gegenüber, er werde aber stets für einen Brandstifter gehalten. Biedermann möchte sich vielmehr als Menschenfreund aufplustern, was in seltsamem Gegensatz zur Entlassung Johann Knechtlings steht, die sich unmittelbar zuvor abspielt.
Biedermann feuert Knechtling gnadenlos, obwohl er ihm sein Vermögen verdankt, das auf das von Knechtling ausgetüftelte Haarwasser zurückgeht. Und dies nur, weil Knechtling seinen verdienten Anteil am Gewinn des Haarwassergeschäfts einfordert.
Biedermann ignoriert auch die Angst seiner Frau Babette vor unheimlichen Geräuschen, die dem Dachboden in der Nacht entweichen; das zuvor eingenommene Schlafmittel hilft ihm dabei. Ohnehin verläuft die Ehe der beiden ganz so, wie es der damaligen gesellschaftlichen Übereinkunft in den 1950ern entsprach: Stets sagt Biedermann seiner Gattin vor, wo es langgeht, und tut ihre Ängste als unbegründet ab.
Chor als weitere Warnstimme
Nicht wirklich dringen auch die Wahrnehmungen des «Chors der Feuermänner» zu Biedermann durch. Der Chor dient als Kontrollorgan; die Bürger finanzieren ihn, allen voran Biedermann mit einer erklecklichen Summe als Beweis seiner Gutherzigkeit. Ringt sich der Chor ausnahmsweise eine Passage mit Klartext ab, prallt diese am unsensiblen Biedermann ab: «Warnend nur, ach kalten Schweisses gefasst. Naht sich bekanntlich der Chor, ohnmächtig-wachsam, mitbürgerlich, bis es zum Löschen zu spät ist.»
Und wieso es wirklich zu spät sein wird, enthüllt das in jugendlich-dynamischer Spielfreude aufgeführte Stück. Den Besucherinnen und Besuchern wird sich auch offenbaren, welche Rolle die weiteren Protagonisten spielen: Wilhelm Maria Eisenring, verurteilter Brandstifter, der namenlose, auf den Typus des Akademikers und Weltverbesserers reduzierte Dr. phil., Frau Knechtling, als «schwarze Witwe» die Verkörperung des schlechten Gewissens Biedermanns, und schliesslich Anna, Dienstmädchen und Statussymbol des gut situierten Bürgers Biedermann.