Seit 35 Jahren lebt Erwin Akermann bereits in Sempach – und damit länger als ein beachtlicher Teil der Sempacher Bevölkerung. Für ihn jedoch ist es nur eine Station, wenig mehr als ein Drittel, in einem langen, bewegten Leben. Am 27. März feierte der Senior seinen 100. Geburtstag. Dennoch ist er weiterhin äusserst aktiv. So führt Akermann unter anderem seinen eigenen Haushalt, und das auf zwei Etagen in seiner Städtliwohnung. «Da haben mir die letzten Jahre schon die Augen geöffnet. Früher hat meine Frau das immer erledigt, bis sie vor acht Jahren verstarb», erzählt Erwin Akermann. «Jetzt sehe ich, was für einen enormen Aufwand Hausfrauen tagtäglich haben.» Mit Waschen, Bügeln, Einkaufen und Putzen sei schon ein Grossteil seines Alltags gefüllt. Daneben gehe er gerne raus und an die frische Luft und zwar nicht nur in der näheren Umgebung: «Vorgestern fuhr ich alleine mit dem Zug nach Lugano als Tagesausflug.» Nebenbei übt und fördert der 100-Jährige täglich seine Italienischkenntnisse: «Das mache ich jeden Abend für eine halbe Stunde bis Stunde. Ich lese auch italienische Literatur, um die Kenntnisse zu vertiefen. Das ist ein Ziel, welches ich mir noch gestellt habe: mein Italienisch aufzumöbeln.»
Flops erzeugen Reife
Nach 100 Jahren hat man zwangsläufig einiges erlebt. «In meinem Leben gab es diverse Höhen und Tiefen. Aber einige Flops muss man erlebt haben, sonst bleibt die Reife aus. Ausserdem haben die positiven Veränderungen immer überwogen», so Erwin Akermann. Beruflich beispielsweise hat er einige Wechsel erlebt. «Ich bin gelernter Herrenmassschneider. Immer wieder habe ich die Jobs gewechselt und mich auf neue Herausforderungen eingelassen. Da war auch viel ‘learning by doing’ dabei. Es hat sich aber gelohnt, so wurde ich in meiner letzten beruflichen Station vor der Pensionierung im Tessin mit ‘Signore Direttore’ angesprochen», erinnert sich Akermann.
Veränderungen «zur Kenntnis nehmen»
Nicht nur der Jubilar, sondern auch die Gesellschaft hat in einem Jahrhundert natürlich diverse Veränderungen durchgemacht. «Ich habe mit 20 geheiratet, kurz darauf kam das erste Kind. Heute wird das gänzlich anders gehandhabt. Wenn ein Kind unterwegs ist, wird deswegen nicht mehr geheiratet», verweist der 100-Jährige auf ein Beispiel des gesellschaftlichen Wandels. «Ich muss solche Veränderungen nicht nachvollziehen können, sondern schlicht zur Kenntnis nehmen», reflektiert Akermann.
Im Zweiten Weltkrieg als Soldat
Im kollektiven Gedächtnis sind diverse historische Ereignisse aus den letzten 100 Jahren unauslöschlich eingeprägt, Erwin Akermann hingegen hat Erinnerungen aus erster Hand. Um dies hier kurz zu illustrieren: Beim Ausbruch des Zweiten Weltkriegs war Akermann 14, bei dessen Ende 20. Als 24-Jähriger las er in der Zeitung von der Gründung der DDR. Als 1962 die erste Single ‘Love me do’ einiger Pilzköpfe aus Liverpool erschien, war Erwin Akermann bereits ein gestandener Mann von 37 Jahren. Die Einführung des Frauenstimmrechts auf Bundesebene 1971 fand einige Tage vor seinem 46. Geburtstag statt. «Manche Dinge sitzen tief», räumt Akermann ein. «Gerade aus dem Zweiten Weltkrieg blieben mir enorm prägende Erinnerungen.» Mit 19 sei er eingezogen und an der Grenze stationiert worden. «Wir sahen unmittelbar auf die deutsche Seite rüber. Ich habe miterlebt, wie amerikanische und französische Truppen mit Panzern über den Seerücken kamen. Bei Stein am Rein haben sie mit Maschinengewehren jedes Haus überprüft auf der Suche nach Nazis. Wir brauchten nicht einmal einen Feldstecher, um das zu sehen», so Akermann. Aufgewachsen in Mörschwil, mit Blick auf den Bodensee, hat er auch Bombardements mit eigenen Augen gesehen. «Erst-August-Feuerwerke sind ein Kinderspiel im Gegensatz zu dem, was ich bei Friedrichshafen gesehen habe. Plötzlich blitzten Flieger im Scheinwerferlicht auf. Das war ein ohrenbetäubendes Getöse des Bombardements und die Nacht war immer wieder taghell erleuchtet.»
Lebensstil hatte keinen Einfluss
Auf die Frage, was denn sein Geheimnis sei, um ein so hohes Alter erreicht zu haben, verweist der Jubilar einerseits auf die genetische Komponente und in diesem Zusammenhang auf seinen Vater, der beinahe 105-jährig geworden ist. «Am Lebensstil kanns nicht liegen, ich habe geraucht und getrunken – gelegentlich auch mal zu viel», gibt Erwin Akermann lachend zur Antwort. Viel eher führt er sein hohes Alter auf den Einfluss seines Umfelds zurück. «Ich hatte in meinem Leben überwiegend angenehme Leute um mich. Das ist ein unerhörtes Glück», betont Akermann. «Gerade auch meine Frau war immer für mich da, in allen Lebenssituationen.» Zu seinem Umfeld gehören inzwischen unter anderem 35 Urgrosskinder. «Nummer 36 ist unterwegs, ebenso das erste Ururgrosskind», erzählt Erwin Akermann stolz.